Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
mich?«
Wolodja ignorierte die Frage. »Die Nazis werden früher oder später besiegt. Mit Ihrer Hilfe könnte dieser Tag schon bald gekommen sein.«
»Sind Sie von der Gestapo? Ich kann Ihnen versichern, dass ich ein guter Deutscher bin.«
»Ist Ihnen mein Akzent nicht aufgefallen?«
»Ja … russisch, nicht wahr?«
»Wie viele Gestapo-Männer sprechen Deutsch mit russischem Akzent?«
Heinrich lachte nervös auf. »Ich weiß nichts über die Gestapo. Ich hätte das Thema nicht ansprechen sollen. Das war dumm von mir.«
»Über Ihren Schreibtisch wandern die Beschaffungslisten der Wehrmacht. Kopien dieser Listen könnten für die Feinde der Nazis sehr wertvoll sein.«
»Sie meinen, für die Rote Armee.«
»Wer sonst soll das Nazi-Regime vernichten?«
Ein nachdenklicher Ausdruck erschien auf Heinrich Gesicht. »Nun ja«, sagte er bedächtig, »wir dokumentieren auch den Verbleib der Kopien genauestens …«
Wolodja versuchte, sich seinen Triumph nicht anmerken zu lassen. Heinrich dachte bereits über die praktischen Probleme nach, was bedeutete, dass er im Grunde bereits zugestimmt hatte. »Machen Sie einen Extradurchschlag«, schlug Wolodja vor. »Oder schreiben Sie die Listen ab. Oder schnappen Sie sich die Kopie eines Kollegen. Es gibt Möglichkeiten genug.«
»Natürlich. Und jede dieser Möglichkeit könnte mich das Leben kosten.«
»Wenn wir nichts gegen die Verbrechen der Nazis unternehmen, was ist das Leben dann noch wert?«
Heinrich blickte den jungen Russen forschend an. Wolodja hatte keine Ahnung, was von Kessel durch den Kopf ging, doch er schwieg und ließ die Musterung über sich ergehen. Nach einer langen Pause seufzte Heinrich und sagte: »Ich werde darüber nachdenken.«
Ich habe ihn, dachte Wolodja triumphierend.
»Wie kann ich Sie kontaktieren?«, fragte Heinrich.
»Gar nicht. Ich werde Sie kontaktieren.« Wolodja legte die Finger an die Hutkrempe, machte kehrt und ging auf demselben Weg zurück, den er gekommen war.
Er jubelte innerlich. Hätte Heinrich grundsätzliche Bedenken gehabt, hätte er von vornherein abgelehnt. Aber dass er über die Sache nachdenken wollte, war fast schon ein Einverständnis. Der Mann würde darüber schlafen und sich die Gefahren vergegenwärtigen. Schlussendlich aber würde er zusagen, davon war Wolodja überzeugt.
Dennoch musste er vorsichtig bleiben. Noch konnten hundert Dinge schiefgehen.
Gut gelaunt verließ Wolodja den Park und ging im hellen Licht der Straßenlaternen an den Schaufenstern und Restaurants an der Straße Unter den Linden vorbei. Er hatte noch nichts gegessen, aber hier konnte er sich keinen Restaurantbesuch leisten.
Er fuhr mit der Straßenbahn nach Friedrichshain und gingzu einer kleinen Wohnung in einer Mietskaserne. Ein hübsches, achtzehnjähriges Mädchen mit blondem Haar öffnete ihm die Tür. Sie trug einen rosafarbenen Pulli und eine dunkle Hose, und ihre Füße waren nackt. Das Mädchen war klein und schlank, mit großen Brüsten.
»Tut mir leid, dass ich mich nicht angemeldet habe«, sagte Wolodja. »Komme ich ungelegen?«
Das Mädchen lächelte. »Ganz und gar nicht. Komm rein.«
Wolodja trat ein. Das Mädchen schloss die Tür und umarmte ihn. »Ich freue mich immer, dich zu sehen«, sagte sie und küsste ihn voller Hingabe.
Lili Markgraf war eine attraktive junge Frau, die einem Mann viel zu geben hatte. Seit seiner Rückkehr nach Berlin hatte Wolodja sie einmal die Woche ausgeführt. Er liebte sie nicht, und er wusste, dass sie auch mit anderen Männern ausging, darunter Werner; aber wenn sie zusammen waren, war Lili voller Leidenschaft.
»Hast du die Neuigkeiten schon gehört?«, fragte sie unvermittelt. »Bist du deswegen hier?« Lili arbeitete als Sekretärin bei einer Presseagentur und erfuhr immer als eine der Ersten, was in der Welt geschah.
»Was für Neuigkeiten?«
»Die Sowjetunion hat einen Pakt mit Deutschland geschlossen.«
Wolodja hätte beinahe aufgelacht. »Du meinst mit Großbritannien und Frankreich gegen Deutschland.«
»Nein, das ist ja das Verrückte. Hitler und Stalin haben sich verbündet.«
»Aber …« Wolodja war verwirrt. Hitler – ein Verbündeter? Das war grotesk. War das die große Lösung des neuen sowjetischen Außenministers Molotow? Es war ihnen nicht gelungen, die Flut des Faschismus aufzuhalten. Gaben sie jetzt einfach auf?
Hatte sein Vater dafür die Revolution gemacht?
Nach vier Jahren sah Woody Dewar seinen Jugendschwarm Joanne Rouzrokh wieder.
Die Anklage gegen
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