Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
sein. Wenn er älter ist, muss er in eine Anstalt, der arme kleine Kerl.«
Lloyd hatte gehört, wie das Baby von der elfjährigen Carla auf die Welt geholt worden war. Das Mädel hatte Mumm.
Kriminalinspektor Thomas Macke kam um halb zehn. Er trug seine braune Uniform.
Als er das letzte Mal hier gewesen war, hatte Robert ihn zum Ziel seines Spottes gemacht, doch Lloyd spürte instinktiv, wie gefährlich dieser Mann war. Zwar wirkte er mit seinem kleinen Schnurrbart im feisten Gesicht ein wenig einfältig, aber in seinen Augen lag ein grausames Funkeln, das Lloyd nervös machte.
Robert hatte sich geweigert, das Restaurant zu verkaufen. Was wollte Macke denn jetzt noch?
Macke stellte sich mitten in den Speisesaal und brüllte: »In diesem Lokal wird abartiges Verhalten gefördert!«
Die Gäste verstummten und fragten sich, was das sollte.
Macke hob den Finger, um anzuzeigen, dass man ihm lieber zuhören sollte. Lloyd kam die Geste auf schreckliche Art vertraut vor: Macke ahmte Hitler nach.
Der Inspektor rief: »Homosexualität widerspricht dem männlichen Wesen der deutschen Nation!«
Lloyd runzelte die Stirn. Wollte er damit etwa sagen, dass Robert eine Schwuchtel war?
Jörg, der seine hohe Kochmütze trug, kam aus der Küche ins Restaurant. Er stellte sich neben die Tür und funkelte Macke an.
Lloyd war schockiert. Vielleicht war Robert tatsächlich schwul. Immerhin lebten er und Jörg seit dem Krieg zusammen.
Lloyd ließ den Blick über die Theaterleute schweifen und stellte fest, dass es sich ausschließlich um Männerpaare handelte, sah man von zwei Frauen mit kurzen Haaren ab …
Lloyd war verwirrt. Natürlich wusste er, dass es Homosexuelle gab, und als toleranter Mensch war er der Überzeugung, dass man ihnen helfen müsse und sie nicht verfolgen dürfe. Trotzdem hielt auch er sie für pervers, und sie waren ihm unheimlich. Doch Robert und Jörg schienen zwei ganz normale Männer zu sein, die gemeinsam ein Geschäft führten und in einer Wohnung lebten, beinahe wie ein Ehepaar.
Lloyd drehte sich zu seiner Mutter um und fragte leise: »Sind Robert und Jörg wirklich …?«
»Ja«, antwortete sie.
Maud, die neben ihr saß, sagte: »Robert war in seiner Jugend die reinste Plage für die Dienerschaft.«
Die beiden Frauen kicherten.
Lloyd war doppelt schockiert. Nicht nur, dass Robert schwul war – Ethel und Maud hielten das auch noch für lustig.
Macke verkündete lautstark: »Dieses Lokal ist mit sofortiger Wirkung geschlossen!«
»Dazu haben Sie kein Recht!«, rief Robert.
Macke kann diese Entscheidung unmöglich allein getroffen haben, überlegte Lloyd. Dann erinnerte er sich, wie die Nazis die Volksbühne gestürmt hatten. Er schaute zum Eingang und sah zu seinem Entsetzen, wie weitere Braunhemden sich durch die Tür drängten.
Sie gingen zwischen den Tischen hindurch und warfen Flaschen und Gläser um. Einige Gäste saßen regungslos da und schauten schockiert zu; andere sprangen auf. Mehrere Männer brüllten ihre Wut hinaus, und eine Frau schrie.
Walter stand auf und sagte mit lauter, aber ruhiger Stimme: »Wir sollten jetzt alle gehen. Es gibt keinen Grund, grob zu werden. Nehmt eure Mäntel und Hüte und geht nach Hause.«
Die Gäste verließen das Restaurant. Einige versuchten noch, ihre Mäntel zu holen; andere flohen, so schnell sie konnten. Walter und Lloyd scheuchten Maud und Ethel zur Tür. Am Ausgang war die Kasse, und Lloyd sah einen Nazi, der sie öffnete und sich das Geld in die Tasche stopfte.
Bis jetzt hatte Robert sich nicht gerührt, nur verzweifelt zugeschaut, wie seine Gäste verjagt wurden; aber nun wurde es zu viel. Er brüllte auf und stieß den SA -Mann von der Kasse weg.
Der Kerl schlug ihn zu Boden und trat auf ihn ein. Ein weiteres Braunhemd kam hinzu.
Lloyd eilte Robert zu Hilfe. Er hörte, wie seine Mutter »Nein!« schrie, als er den Nazi beiseitestieß. Jörg eilte zu ihm, und gemeinsam halfen sie Robert auf.
Sofort wurden sie von weiteren Braunhemden attackiert. Lloyd wurde geschlagen und getreten, und irgendetwas Schweres traf ihn am Kopf. Nicht schon wieder! , dachte er wutentbrannt, wandte sich den Angreifern zu, schlug Linke und Rechte und traf mit jedem Hieb, wobei er versuchte, sich durch die Gegner durchzuboxen, wie seine Trainer es ihm beigebracht hatten. Zwei Braunhemden schlug er nieder; dann wurde er von hinten gepackt und zu Boden gerissen, wo zwei Männer ihn festhielten, während ein dritter auf ihn eintrat.
Brutal wurde er
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