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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Laune zu halten, ohne Senator Vandenberg vor den Kopf zu stoßen?«
    »Genau.«
    Sie hörten eilige Schritte – ein ungewohnter Laut in den ehrwürdigen Hallen des Kapitols. Beide drehten sich um. Woody war überrascht, den Vizepräsidenten Harry Truman durch den Flur rennen zu sehen. Wie immer war er in einen grauen doppelreihigen Anzug mit gepunkteter Krawatte gekleidet, trug aber keinen Hut. Seine übliche Eskorte aus Assistenten und Geheimdienstleuten schien er abgehängt zu haben. Er rannte, ohne anzuhalten, schwer atmend, den Blick starr nach vorn gerichtet. Mit beängstigender Eile wollte er an irgendein bestimmtes Ziel.
    Woody, Gus und die anderen Anwesenden sahen ihm erstaunt nach.
    Als Truman um eine Ecke verschwand, fragte Woody verwirrt: »Was sollte das denn?«
    Gus erwiderte: »Dafür kann es nur einen Grund geben. Ich nehme an, der Präsident ist gestorben.«

    Wolodja Peschkow rollte in einem Studebaker – US 6 – Lastwagen nach Deutschland. Diese Lkws wurden in South Bend, Indiana, gebaut, per Zug nach Baltimore gebracht und über den Atlantik um das Kap der Guten Hoffnung herum nach Persien verschifft. Von dort wurden sie mit der Eisenbahn nach Russland transportiert. Wolodjas Studebaker war einer von vielen, die die Sowjetunion als Kriegshilfe von den USA erhalten hatte. Die Fahrzeuge waren ausgesprochen zuverlässig, und die Russen mochten sie. Scherzhaft übersetzten sie die Buchstaben » USA «, die an der Seite mit Schablone aufgemalt waren, mit Ubit Sukina syna Adolf , was in etwa hieß: »Tötet Adolf, diesen Hurensohn.«
    Die Rotarmisten mochten auch den Proviant, den die Amerikaner schickten, besonders das Dosenfleisch, das man Spam nannte und das seltsam rosa, aber wunderbar fettig war.
    Wolodja war nach Deutschland versetzt worden, weil die Nachrichten, die er von seinen Spionen in Berlin bekam, nicht mehr so zuverlässig waren wie die Informationen, die sich aus den deutschen Gefangenen herausholen ließen. Dass er fließend Deutsch sprach, machte ihn zum perfekten Verhörspezialisten für die Front.
    Als Wolodja die Grenze nach Deutschland überquerte, hatte er ein Plakat der sowjetischen Regierung gesehen, auf dem stand: »Sowjetische Soldaten, ihr seid jetzt auf deutschem Boden. Die Stunde der Rache ist gekommen!« Das war noch ein harmloses Beispiel für Kriegspropaganda. Der Kreml schürte den Hass auf die Deutschen nun schon seit einiger Zeit, um die Kampfeslust der Rotarmisten zu steigern. Angeblich hatten Politkommissare genau ausgerechnet, wie viele russische Soldaten auf den Schlachtfeldern getötet worden waren, wie viele Zivilisten die Deutschen ermordet hatten, weil sie Kommunisten, Juden oder einfach nur Slawen waren, und wie viele Häuser die Wehrmacht niedergebrannt hatte. Viele russische Frontsoldaten kannten die Zahlen für ihre Heimatgegend und brannten darauf, es den Deutschen mit gleicher Münze heimzuzahlen.
    Die Rote Armee hatte die Oder erreicht, das letzte natürliche Hindernis vor Berlin. Eine Million Rotarmisten waren nur noch knapp hundert Kilometer von der Reichshauptstadt entfernt und bereiteten sich auf den Kampf um Berlin vor. Wolodja gehörte zur 8. Gardearmee. Während er auf den Angriffsbefehl wartete, blätterte er in der Armeezeitung Roter Stern .
    Was er las, erfüllte ihn mit Entsetzen.
    Die Hasspropaganda ging weiter als alles, was er bisher gelesen hatte. »Wenn du nicht jeden Tag einen Deutschen tötest, ist der Tag verschwendet«, las er. »Wenn du auf den Kampf wartest, töte vorher einen Deutschen. Dann töte noch einen. Für uns gibt es nichts Schöneres als einen Berg deutscher Leichen. Töte Deutsche! So lautet das Gebet deiner greisen Mutter. Töte Deutsche! So lautet das Flehen deiner Kinder. Töte Deutsche! Das ist der Ruf von Mutter Heimat. Wanke nicht. Lasse nicht nach. Töte!«
    Das ist widerlich, dachte Wolodja. Aber es kam noch Schlimmer. Plünderungen waren für den Schreiber der Hasstiraden kein Verbrechen: »Nehmt die Pelzmäntel und Silberlöffel der deutschen Frauen, sie sind sowieso gestohlen.« Und über Vergewaltigungen scherzte er: »Weist die Zuneigung nicht zurück, die deutsche Frauen euch entgegenbringen.«
    Die Wirkung einer solchen Propaganda war verheerend, zumal Soldaten ohnehin nicht die zivilisiertesten Menschen auf Erden waren. Doch das Verhalten der Deutschen nach dem Einmarsch 1941 hatte die Russen mit Hass erfüllt, und die Regierung schürte diesen Hass mit ihrem Gerede von Rache. Und nun stand auch noch

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