Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
klipp und klar in der Armeezeitung, dass die Rotarmisten mit den besiegten Deutschen tun und lassen konnten, was sie wollten.
Es war die Rezeptur für das Jüngste Gericht.
Erik von Ulrich sehnte das Ende des Krieges herbei.
Mit seinem Freund Hermann Braun und ihrem Chef Dr. Weiss richtete Erik in einer kleinen protestantischen Kirche einen Verbandplatz ein. Dann setzten sie sich ins Kirchenschiff und warteten auf die Pferdewagen, die jedes Mal bis oben hin mit verbrannten und grässlich verwundeten Männern beladen waren.
Die Wehrmacht hatte die Seelower Höhen an der Oder zum Bollwerk verstärkt. Eriks Verbandplatz lag gut zwei Kilometer von der Front entfernt.
Dr. Weiss, der einen Freund bei der militärischen Aufklärung hatte, berichtete, dass Berlin von gut hunderttausend Deutschen gegen eine Million Sowjets verteidigt wurde. Und mit seinem üblichen Sarkasmus fügte er hinzu: »Aber unsere Moral ist gut, und Hitler ist der größte Feldherr aller Zeiten. Also können wir gar nicht anders als siegen.«
Es gab keine Hoffnung mehr. Dennoch kämpften die deutschen Soldaten verbissen. Erik vermutete, dass es an den Geschichten lag, die über die Barbarei der Russen in den bereits besetzten Gebieten kursierten. Gefangene wurden getötet, Häuser geplündert und niedergebrannt, Frauen vergewaltigt und an Scheunentore genagelt. Die Deutschen glaubten, ihre Familien vor der Grausamkeit der Kommunisten zu verteidigen, indem sie todesmutig kämpften. Die Hasspropaganda des Kreml hatte sich als Bumerang erwiesen.
Erik freute sich auf die Niederlage. Er wollte, dass das Töten endlich aufhörte. Er wollte einfach nur nach Hause.
Sein Wunsch würde bald in Erfüllung gehen … falls er dann noch lebte.
Am Montag, dem 16. April, wurde Erik, der auf einer Kirchenbank eingeschlafen war, um drei Uhr morgens vom Donnern russischer Geschütze geweckt. Er hatte früher schon unter Artilleriefeuer gelegen, aber das hier war zehnmal lauter als alles, was er bisher erlebt hatte. An der Front musste im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle los sein.
Bei Sonnenaufgang kamen die ersten Verwundeten, und die zu Tode erschöpften Sanitäter und Ärzte machten sich an die Arbeit. Sie amputierten Gliedmaßen, richteten gebrochene Knochen, entfernten Kugeln und Granatsplitter, säuberten und verbanden Wunden. Dabei hatten sie von allem zu wenig, von Medikamenten bis hin zu sauberem Wasser. Morphium bekamen nur diejenigen, die vor Schmerzen schrien.
Wer noch laufen und ein Gewehr halten konnte, wurde zurück an die Front geschickt.
Die deutschen Verteidiger hielten länger durch, als Dr. Weiss erwartet hatte. Am Ende des ersten Tages hielten sie noch immer ihre Stellungen, und als die Dunkelheit anbrach, ebbte der Strom der Verwundeten ab. Der kleine Sanitätstrupp bekam in dieser Nacht sogar ein wenig Schlaf.
Früh am nächsten Tag wurde der inzwischen zum Hauptmann beförderte Werner Franck hereingebracht. Sein rechter Arm war zerschmettert.
Er hatte einen Frontabschnitt mit dreißig 88er-Geschützen befehligt. »Wir hatten nur acht Granaten für jedes Geschütz«, berichtete er, während Dr. Weiss ihm geschickt und sorgfältig die gebrochenen Knochen richtete. »Unsere Befehle lauteten, jeweils sieben Geschosse auf russische Panzer abzufeuern und mit dem letzten das Geschütz zu zerstören, damit die Bolschewisten es nicht in die Finger bekommen.« Werner hatte neben einem dieser Geschütze gestanden, als eine sowjetische Granate in der Nähe einschlug und die 88er umwarf, die auf ihn gestürzt war. »Ich hatte Glück, dass es nur meinen Arm erwischt hat«, sagte er. »Es hätte auch mein Kopf sein können.«
Als sein Arm verbunden war, fragte er Erik: »Hast du irgendwas von Carla gehört?«
Erik wusste, dass Werner und seine Schwester ein Paar waren. »Ich habe schon seit Wochen keine Briefe mehr bekommen.«
»Ich auch nicht. Aber ich habe gehört, dass es in Berlin schlimm aussieht. Ich hoffe, es geht ihr gut.«
»Das hoffe ich auch«, sagte Erik. »Aber ich mache mir große Sorgen.«
Überraschenderweise hielten die Deutschen die Seelower Höhen noch einen weiteren Tag und eine Nacht. Als dann die Front zusammenbrach, traf es den Verbandplatz ohne Vorwarnung. Sie versorgten gerade eine frische Ladung Verwundeter, als acht sowjetische Soldaten in die Kirche stürmten. Einer schoss mit seiner Maschinenpistole in die Decke. Erik und die anderen warfen sich instinktiv zu Boden.
Als die Russen sahen, dass keiner der
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