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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Radio sprach, hatte sich kühler Ironie bedient. »Als ich gestern Abend die Rede des Premierministers hörte, in der er die Politik der Labour Party so unfassbar verzerrt dargestellt hat, wusste ich sofort, welches Ziel er verfolgt. Er wollte den Wählern zeigen, welch gewaltiger Unterschied besteht zwischen Winston Churchill, dem großen Regierungschef einer im Krieg vereinten Nation, und Mr. Churchill, dem Vorsitzenden der Konservativen Partei. Er befürchtet, dass jene, die seine Führerschaft im Krieg akzeptiert hatten, ihm aus Dankbarkeit die Treue halten könnten. Ich danke ihm sehr, dass er sie so gründlich ihrer Illusionen beraubt hat.« Attlees Geringschätzung ließ Churchill wie einen Volksverhetzer erscheinen. Die Menschen mussten von blindwütigem Fanatismus die Nase voll haben, dachte Daisy; in Friedenszeiten zogen sie zweifellos Mäßigung und gesunden Menschenverstand vor.
    Eine Gallup-Meinungsumfrage, die am Tag vor der Wahl gemacht wurde, sagte einen Sieg für Labour voraus, doch niemand glaubte ihr. George Gallup, ein Amerikaner, hatte schon bei der letzten Präsidentschaftswahl eine falsche Prognose abgegeben. Die Vorstellung, man könne ein Wahlergebnis vorhersagen, indem man eine kleine Anzahl Wähler befragte, erschien ohnehin sehr unwahrscheinlich. Der News Chronicle , der die Hochrechnung veröffentlichte, prophezeite ein Unentschieden.
    Sämtliche anderen Zeitungen schrieben, die Konservativen würden den Sieg davontragen.
    Daisy hatte nie zuvor Interesse an den Mechanismen der Demokratie gezeigt, doch ihr Schicksal stand auf dem Spiel, und sie beobachtete gebannt, wie die Stimmzettel aus den Urnen genommen wurden, wie man sie sortierte, auszählte, bündelte und erneut auszählte. Als Wahlleiter fungierte der Stadtschreiber von Hoxton. Beobachter sämtlicher angetretenen Parteien überwachten die Vorgänge und stellten sicher, dass keine Fehler oder Manipulationen begangen wurden. Der Prozess dauerte lange, und Daisy fühlte sich regelrecht auf die Folter gespannt.
    Um halb elf hörten sie das erste Ergebnis aus einem anderen Wahlkreis. Harold Macmillan, ein Protegé Churchills und während des Krieges Kabinettsminister, hatte Stockton-on-Tees an Labour verloren. Fünfzehn Minuten später traf die Nachricht ein, dass in Birmingham Labour mit einem Erdrutschsieg gewonnen habe. Da im Saal keine Radios erlaubt wurden, waren Daisy und Lloyd auf Gerüchte angewiesen, die von außen durchsickerten, und Daisy war sich nicht sicher, was sie glauben sollte.
    Gegen Mittag rief der Wahlleiter die Kandidaten und ihre Beauftragten in eine Ecke des Raumes und teilte ihnen das Ergebnis mit, ehe es öffentlich verkündet wurde. Daisy wollte Lloyd begleiten, doch es wurde ihr nicht gestattet.
    Der Mann sprach leise zu ihnen. Außer Lloyd und dem amtierenden Abgeordneten waren ein Konservativer und ein Kommunist angetreten. Daisy forschte in den Gesichtern der Männer, konnte ihren Mienen aber nicht entnehmen, wer gewonnen hatte. Dann stiegen alle auf die Plattform, und im Saal breitete sich Schweigen aus. Daisy war übel vor Aufregung.
    »Ich, Michael Charles Davies, als ordnungsgemäß ernannter Wahlleiter für den Wahlkreis Hoxton …«
    Daisy stand bei den Wahlbeobachtern der Labour Party und konnte die Augen nicht von Lloyd nehmen. Würde sie ihn verlieren? Der Gedanke presste ihr das Herz zusammen und raubte ihr vor Angst den Atem. In ihrem Leben hatte sie sich schon zweimal für einen Mann entschieden, der auf katastrophale Weise der Falsche gewesen war. Charlie Farquharson – nett, aber schwach – war das Gegenteil ihres Vaters gewesen. Boy Fitzherbert – stur und selbstsüchtig – hatte ihrem Vater sehr geähnelt. Nun endlich hatte sie Lloyd gefunden, der stark und freundlich war. Sie hatte ihn nicht wegen seiner gesellschaftlichen Stellung ausgesucht oder wegen dem, was er für sie tun konnte, sondern einfach, weil er ein außergewöhnlich guter Mann war. Er war sanft, er war intelligent, er war vertrauenswürdig – und er betete sie an. Sie hatte viel zu lange gebraucht, um zu begreifen, dass sie nach niemand anderem gesucht hatte als nach ihm. Wie dumm sie gewesen war!
    Der Wahlleiter las die Stimmenzahl für jeden Kandidaten vor. Sie waren alphabetisch aufgelistet, und Williams kam als Letzter. Daisy war so aufgeregt, dass sie die Zahlen nicht im Kopf behalten konnte. »Reginald Sidney Blenkinson – fünftausendvierhundertsiebenundzwanzig …«
    Als Lloyds Stimmenzahl vorgelesen wurde,

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