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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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eine Gewinnbeteiligung verlangt. Seitdem kam Frieda einmal die Woche bei Carla vorbei und brachte ihr einen kleinen Korb mit Vorräten: warme Kleidung, Kerzen, Taschenlampenbatterien, Streichhölzer, Seife und Essen – Schinken, Schokolade, Äpfel, Reis und Pfirsiche in Dosen.
    Maud teilte das Essen ein. Sie und Ada bekamen dieselbe Menge, Carla die doppelte Ration. Carla akzeptierte es ohne Zögern, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern für den kleinen Walter.Ohne Friedas illegal beschaffte Lebensmittel hätte der Kleine vermutlich nicht überlebt.
    Walter veränderte sich schnell. Das dunkle Haar, das er bei seiner Geburt gehabt hatte, war inzwischen feinem, blondem Haar gewichen. Mit sechs Monaten hatte er Carlas wunderschöne grüne Augen. Als seine Gesichtszüge sich entwickelten, fielen Carla die Falten in den äußeren Augenwinkeln auf, die ihm etwas Asiatisches verliehen, und sie fragte sich, ob sein Vater wohl Sibirier gewesen war. Sie konnte sich nicht mehr an alle Männer erinnern, die sie vergewaltigt hatten. Die meiste Zeit hatte sie die Augen geschlossen.
    Carla hasste die Männer nicht mehr. Es war seltsam, aber sie war so glücklich, Walter zu haben, dass sie es kaum noch bedauerte, was damals geschehen war.
    Rebecca war von Walter fasziniert. Mit ihren fünfzehn Jahren war sie alt genug, um selbst Muttergefühle zu entwickeln. Voller Eifer half sie Carla beim Baden und Anziehen des Babys. Wann immer möglich, spielte sie mit ihm, und Walter gluckste freudig, sobald er sie sah.
    Als Erik sich besser fühlte, trat er in die kommunistische Partei ein.
    Carla war erstaunt. Wie konnte er das tun – nach allem, was er durch die Sowjets erlitten hatte? Doch sie fand rasch heraus, dass Erik über den Kommunismus nun genauso sprach wie über den Nationalsozialismus ein Jahrzehnt zuvor. Sie hoffte nur, dass es diesmal nicht ganz so lange dauerte, bis ihm seine Illusionen geraubt wurden.
    Die Alliierten versuchten, die Demokratie wieder nach Deutschland zu bringen, und für die zweite Hälfte des Jahres 1946 waren Wahlen in Berlin angesetzt.
    Carla war fest davon überzeugt, dass sich das Leben in der Stadt erst wieder normalisieren würde, wenn die Bewohner selbst die Kontrolle übernahmen; also beschloss sie, sich für die Sozialdemokraten einzusetzen. Doch die Berliner fanden bald heraus, dass die Sowjets ein ganz besonderes Demokratieverständnis hatten.
    Der Ausgang der Wahlen in Österreich im November des Vorjahres war eine bittere Pille für die Sowjets gewesen. Die österreichischen Kommunisten hatten mit einem Kopf-an-Kopf-Rennenmit den Sozialdemokraten gerechnet, hatten aber nur vier von einhundertfünfundsechzig Sitzen errungen. Offenbar gaben die Wähler den Kommunisten die Schuld für die Brutalität der Roten Armee. Das hatte der Kreml, der keine freien Wahlen kannte, nicht bedacht.
    Um ein ähnliches Ergebnis in Deutschland zu vermeiden, schlugen die Sowjets die Verschmelzung von Kommunisten und Sozialdemokraten zu einer sogenannten Einheitsfront vor. Doch trotz erheblichen Drucks weigerten sich die Sozialdemokraten. Daraufhin begannen die Sowjets in Ostdeutschland, SPD -Leute zu verhaften, genau wie die Nazis 1933, und schließlich wurde die Vereinigung erzwungen. Doch die Wahlen in Berlin standen unter der Aufsicht aller vier Siegermächte, und die Sozialdemokratie überlebte.
    Nachdem es wärmer geworden war, konnte auch Carla sich wieder für Essen anstellen. Den kleinen Walter nahm sie mit. Sie wickelte ihn stets in einen Kopfkissenbezug, denn Babykleidung besaß sie nicht. Als sie eines Morgens ein paar Querstraßen von zu Hause entfernt für Kartoffeln anstand, sah sie zu ihrem Erstaunen einen amerikanischen Jeep mit Frieda auf dem Beifahrersitz. Der Jeep hielt ein Stück von der Schlange der Wartenden entfernt. Der fast kahlköpfige Fahrer, der Ende dreißig sein mochte, küsste Frieda zum Abschied auf den Mund; dann sprang sie aus dem Wagen. Sie trug ein ärmelloses blaues Kleid und neue Schuhe. Rasch ging sie mit ihrem kleinen Korb in Richtung des Hauses der von Ulrichs.
    Carla traute ihren Augen nicht. Frieda handelte gar nicht auf dem Schwarzmarkt, und die amerikanischen Ärzte gab es auch nicht. Sie war die Geliebte eines amerikanischen Offiziers und ließ sich dafür bezahlen.
    Ungewöhnlich war das nicht. Tausende hübscher deutscher Mädchen hatten vor der Wahl gestanden, ihre Familien hungern zu lassen oder mit einem Offizier zu schlafen, der die Liebesdienste mit

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