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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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mittlerweile Ende siebzig. Grandah war trotz seiner Brille mit den kieselgroßen Gläsern fast blind, und Grandmam ging mit gebeugtem Rücken. »Was ist das schön«, sagte sie, als alle am alten Küchentisch saßen. »Meine beiden Kinder sind da.« Sie tischte Rindfleisch mit Rübenmus auf, außerdem dicke Scheiben selbst gebackenes Brot mit Schmalz. Dazu gab es große Tassen gesüßten Tee mit Milch.
    Lloyd hatte solche Speisen als Kind regelmäßig gegessen, doch heute fand er sie reizlos. Er hatte erlebt, wie Spanierinnen und Französinnen auch in schweren Zeiten schmackhafte Mahlzeiten zubereiteten, die mit Knoblauch gewürzt und mit Kräutern verfeinert waren. Doch er schämte sich seiner Verwöhntheit und tat so, als esse und trinke er mit Genuss.
    »Schade um die Gärten von Tŷ Gwyn«, sagte Grandmam geradeheraus.
    Billy war betroffen. »Was willst du damit sagen? Großbritannien braucht die Kohle.«
    »Aber die Menschen lieben diese Gärten. Sie sind schön. Seit ich ein junges Mädchen war, bin ich jedes Jahr wenigstens einmal dort gewesen. Eine Schande, dass es sie bald nicht mehr gibt.«
    »Aber es gibt doch einen wunderschönen Erholungspark hier mitten in Aberowen!«
    »Das ist nicht das Gleiche«, erwiderte Grandmam unbeirrt.
    »Ihr Frauen begreift die Politik wohl nie«, meinte Grandah.
    »Nein«, erwiderte Grandmam. »Das ist wohl so.«
    Lloyd suchte den Blick seiner Mutter. Sie lächelte nur.
    Billy und Lloyd teilten sich das zweite Zimmer, und Ethel schlug ihre Bettstatt am Küchenboden auf. »Bis ich zur Army kam, habe ich jede Nacht in diesem Zimmer geschlafen«, sagte Billy, als sie sich hinlegten. »Und jeden Morgen habe ich aus dem Fenster auf diese verdammte Bergehalde geschaut.«
    »Sei leise, Onkel Billy«, sagte Lloyd. »Sonst hört deine Mam noch, was für Wörter du in den Mund nimmst.«
    »Du hast recht«, murmelte Billy.
    Am nächsten Morgen zogen sie nach dem Frühstück den Hügel hinauf zum Herrenhaus. Der Morgen war mild, und ausnahmsweise regnete es nicht. Die Kämme der Hügel am Horizont wirkten durch das Sommergras weicher und lieblicher. Als Tŷ Gwyn in Sicht kam, musste Lloyd sich eingestehen, dass er vor allem ein schönes Gebäude vor sich hatte, nicht so sehr ein Symbol der Unterdrückung. Aber Tŷ Gwyn verkörperte beides zugleich: In der Politik war nichts einfach.
    Die großen schmiedeeisernen Tore standen offen, und die Williams betraten das Gelände, auf dem sich bereits eine Menschenmenge versammelt hatte. Es waren die Mitarbeiter des Tiefbauunternehmens mit ihren Maschinen, ungefähr hundert Bergleute und ihre Familien, Earl Fitzherbert mit seinem Sohn Andrew, eine Handvoll Reporter mit Notizbüchern sowie ein Kamerateam.
    Die Gärten waren atemberaubend schön. Die Allee aus alten Kastanien stand in voller Blüte, auf dem Teich schwammen Schwäne, und die Blumenbeete strahlten in sämtlichen Farben des Regenbogens. Lloyd vermutete, dass der Earl dafür gesorgt hatte, dass die Gärten sich von ihrer schönsten Seite zeigten. Fitzherbert wollte die Labour-Regierung vor der Öffentlichkeit als Vernichter von Pracht und Eleganz hinstellen.
    Lloyd ertappte sich dabei, wie er mit dem Earl sympathisierte.
    Der Bürgermeister von Aberowen gab den Reportern ein Interview. »Die Menschen dieser Stadt sind gegen den Tagebau«, sagteer. Lloyd war erstaunt: Der Stadtrat bestand aus Labor-Leuten; es musste den Bürgermeister einige Überwindung kosten, der Position der Regierung zu widersprechen. »Seit über hundert Jahren ist die Schönheit dieser Gärten ein Balsam für die Seelen der Menschen, die in einer kargen Industrielandschaft leben müssen«, fuhr er fort. Dann wechselte er von vorbereiteter Ansprache zu persönlicher Erinnerung. »Unter dieser Zeder dort habe ich meiner Frau den Heiratsantrag gemacht.«
    Ein lautes Klirren und Rasseln unterbrach ihn. Es klang wie die Schritte eines eisernen Riesen. Als Lloyd sich umdrehte und die Zufahrt hinunterschaute, sah er eine gewaltige Maschine heranrollen. Sie sah wie der größte Bagger der Welt aus. Der Ausleger war neunzig Fuß lang, und in die Schaufel hätte ein Lastwagen gepasst. Am erstaunlichsten aber waren die rotierenden Stahlschuhe, auf denen das Ungeheuer fuhr und die jedes Mal, wenn sie auf den Boden trafen, die Erde erschütterten.
    »Das ist ein Schürfkübelbagger von Monighan mit Schreitwerk«, sagte Billy stolz. »Holt jedes Mal sechs Tonnen Erde raus.«
    Die Kamera filmte, wie die monströse Maschine die

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