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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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der alten Moskauer Kathedralen sammelte. In ganz Europa war der Winter des Jahres 1946/47 der kälteste seit hundert Jahren. In Saint Tropez schneite es. Britische Straßen und Schienen waren unpassierbar geworden, und die Industrie hatte ihre Produktion einstellen müssen; das hatte es nicht einmal während des Krieges gegeben. In Frankreich waren die gegen Essensmarken ausgegebenen Rationen kleiner als in Kriegszeiten. Die Vereinten Nationen schätzten, dass einhundert Millionen Europäer von fünfzehnhundert Kalorien am Tag lebten – die Grenze zur Unterernährung. Und je langsamer sich die Räder der Produktion drehten, desto mehr wuchs das Gefühl der Menschen, dass sie nichts zu verlieren hatten, und die Revolution schien mehr und mehr der einzige Ausweg zu sein.
    Sobald die UdSSR über Nuklearwaffen verfügte, würde sich ihr nichts und niemand mehr in den Weg stellen können. Zoja und ihre Kollegen hatten im Labor Nr. 2 der Akademie der Wissenschaften bereits genug kernwaffenfähiges Material angesammelt. Die kritische Masse war am Weihnachtstag erreicht worden, sechs Monate nach der Geburt von Konstantin, der zu diesem Zeitpunkt in der Kinderkrippe des Labors geschlafen hatte. Sollte das Experiment schiefgehen, hatte Zoja ihrem Mann anvertraut, würde es dem kleinen Kotja auch nichts nützen, wenn er zwei, drei Kilometer entfernt wäre; dann nämlich läge ganz Moskau in Schutt und Asche.
    Wolodjas Zweifel, was die Zukunft betraf, hatten mit der Geburt seines Sohnes neue Nahrung erhalten. Er wollte, dass Kotja als Bürger eines stolzen und mächtigen Landes aufwuchs. Er war fest davon überzeugt, dass die Sowjetunion es sich verdient hatte, Europa zu beherrschen. Schließlich war es die Rote Armee gewesen, die die Nazis in vier grausamen Kriegsjahren besiegt hatte, während die anderen Alliierten nur daneben gestanden und Kleinkriege geführt hatten. Erst in den letzten elf Monaten hatten sie sich dem eigentlichen Kampf angeschlossen. All ihre Verluste zusammengenommen waren nur ein Bruchteil dessen, was das sowjetische Volk hatte erleiden müssen.
    Dann aber rief Wolodja sich in Erinnerung, was Kommunismus wirklich bedeutete: willkürliche Säuberungen, Folter in den Kellern der Geheimpolizei und Soldaten, die zu bestialischen Exzessen getrieben wurden. Und das ganze riesige Land war gezwungen, die Befehle eines launischen Tyrannen zu befolgen, der mächtiger war als der Zar.
    Willst du wirklich, dass dieses brutale System auf den Rest Europas übertragen wird, fragte sich Wolodja.
    Er erinnerte sich daran, wie er in New York in die Pennsylvania Station gegangen war und sich eine Fahrkarte nach Albuquerque gekauft hatte, ohne eine Genehmigung einholen oder seine Papiere zeigen zu müssen. Er erinnerte sich an das unglaubliche Gefühl von Freiheit, das es ihm vermittelt hatte. Den Sears-Roebuck-Katalog besaß er längst nicht mehr, aber er lebte in seinen Erinnerungen weiter mit seinen Hunderten von Seiten und all den schönen Dingen, die für jedermann erhältlich waren. Das russische Volk hielt die Geschichten über Freiheit und Wohlstand des Westens für Propaganda, aber Wolodja wusste es besser. Ein Teil von ihm sehnte sich sogar danach, dass der Kommunismus besiegt wurde.
    Die Zukunft Deutschlands und damit das Schicksal Europas sollte auf einer Außenministerkonferenz entschieden werden, die im März in Moskau stattfand.
    Wolodja, inzwischen zum Oberst befördert, hatte den Befehl über die GRU -Einheiten, die mit der Sicherheit der Konferenzteilnehmer beauftragt waren. Die Treffen fanden in einem reich geschmückten Raum des Hauses der Luftfahrtindustrie statt, angenehmerweise nicht weit vom Hotel Moskwa entfernt. Wie immer saßen die Delegierten und ihre Dolmetscher um einen Tisch herum, ihre Berater auf Stühlen dahinter. Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow verlangte von Deutschland zehn Milliarden Dollar an Reparationen. Die Amerikaner und Briten protestierten dagegen und erklärten, das wäre der Tod der ohnehin kränkelnden deutschen Wirtschaft. Vermutlich war es genau das, was Stalin wollte.
    Wolodja erneuerte seine Bekanntschaft mit Woody Dewar, der als Fotoreporter an der Konferenz teilnahm. Woody war inzwischen ebenfalls verheiratet, und er zeigte Wolodja das Bild eineratemberaubenden, dunkelhaarigen Schönheit mit einem Baby auf dem Arm. Im Fond einer ZIS -110B-Limousine, auf dem Rückweg von einem offiziellen Fototermin im Kreml, sagte Woody zu Wolodja: »Euch ist doch

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