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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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behalten hatte. Nun sprang er auf, küsste seine Großmutter und schnappte sich seinen kleinen Koffer.
    »Ich gehe mit dir zum Bahnhof«, sagte Lenny.
    Lloyd verabschiedete sich und eilte den Hügel hinunter. Lennysagte nichts, schien in Gedanken zu sein. Lloyd war froh, dass er nicht zu reden brauchte. Sein Inneres war in Aufruhr.
    Der Zug stand schon am Gleis. Lloyd kaufte eine Fahrkarte dritter Klasse nach London. Als er einsteigen wollte, fragte Lenny: »Sag mal, Lloyd, wie kriegt man eigentlich ’nen Pass?«
    »Du willst im Ernst nach Spanien, hab ich recht?«
    »Komm, sag schon, Mann. Red nicht drum herum.«
    Die Pfeife des Schaffners gellte über den Bahnsteig. Lloyd stieg in den Waggon, schlug die Tür hinter sich zu und schob das Fenster des Abteils herunter. »Du gehst zum Postamt und lässt dir ein Formular geben«, sagte er.
    Bedrückt erwiderte Lenny: »Wenn ich im Postamt um ein Passformular bitte, weiß meine Mutter dreißig Sekunden später Bescheid.«
    »Dann mach es in Cardiff«, schlug Lloyd vor.
    Der Zug rollte an. Lloyd ließ sich in seinen Sitz sinken, zog eine Ausgabe von Stendhals Le Rouge et le Noir auf Französisch aus der Tasche und blickte auf die Seite, ohne etwas aufzunehmen. Er konnte nur an eines denken: nach Spanien zu gehen.
    Natürlich wusste Lloyd, dass er allen Grund hatte, Angst zu haben. Doch der Wunsch, Männer wie die zu bekämpfen, die die ausgehungerten Hunde auf Jörg gehetzt hatten, war stärker als die Furcht. Er wollte etwas tun, nicht nur Versammlungen abhalten. Aber die Angst würde sich schon noch einstellen, das wusste er. Es war wie vor einem Boxkampf. In der Kabine hatte er keine Furcht, aber sobald er in den Ring trat und den Mann erblickte, der ihn bewusstlos schlagen wollte – die breiten Schultern, die muskulösen Arme, das harte Gesicht –, wurde ihm der Mund trocken, und er wäre am liebsten davongelaufen.
    Im Augenblick sorgte er sich vor allem um seine Eltern. Bernie war sehr stolz darauf, einen Stiefsohn in Cambridge zu haben – er hatte dem halben Eastend davon erzählt –, und wäre am Boden zerstört, wenn Lloyd die Universität ohne Abschluss verließ. Ethel hätte furchtbare Angst, dass ihr Sohn verwundet oder getötet würde. Beide würden sich schrecklich aufregen.
    Und es gab weitere Fragen. Wie kam er überhaupt nach Spanien? In welche Stadt würde er gehen? Wie sollte er die Fahrt bezahlen? Doch nur ein Gedanke ließ ihn wirklich innehalten:
    Daisy Peshkov.
    Lloyd ermahnte sich, nicht albern zu sein. Er war ihr erst zweimal begegnet. Sie war nicht einmal besonders an ihm interessiert – was klug von ihr war, denn sie passten nicht zusammen. Daisy war eine Millionärstochter und ein seichtes Partygirl, und sie fand Gespräche über Politik langweilig. Sie mochte Männer wie Boy Fitzherbert. Das allein bewies, dass sie für Lloyd nicht die Richtige war. Dennoch ging sie ihm nicht aus dem Kopf, und der Gedanke, nach Spanien zu gehen und jede Chance auf ein Wiedersehen zunichtezumachen, erfüllte ihn mit Traurigkeit.
    Mayfair 2434.
    Sein Zögern beschämte ihn, besonders wenn er sich Lennys Entschlossenheit vor Augen hielt. Lloyd wollte immer schon gegen den Faschismus kämpfen. Jetzt bekam er die Gelegenheit. Wie konnte er da in England bleiben?
    Am Londoner Bahnhof Paddington stieg er aus, nahm die U-Bahn nach Aldgate und ging zu dem Reihenhaus auf der Nutley Street, in dem er zur Welt gekommen war und für das er noch immer einen Schlüssel besaß. Seit seiner Kindheit hatte sich am Haus nicht viel verändert; eine Neuerung jedoch war das Telefon auf einem kleinen Tisch neben dem Garderobenständer. Es war der einzige Fernsprecher in der ganzen Straße, und die Nachbarn nutzten ihn als öffentliches Eigentum. Neben dem Apparat stand ein Kästchen, in das sie das Geld für die Anrufe legten.
    Lloyds Mutter war in der Küche. Sie hatte den Hut auf und war zum Ausgehen gekleidet, denn sie wollte auf einer Labour-Versammlung sprechen – was sonst? –, aber sie setzte den Wasserkessel auf und machte ihm Tee.
    »Wie geht es denn allen in Aberowen?«, fragte sie.
    »Onkel Billy ist dieses Wochenende da«, antwortete Lloyd. »Die ganzen Nachbarn kamen in Grandahs Küche. Es war wie der Königshof im Mittelalter.«
    »Geht es deinen Großeltern gut?«
    »Grandah ist wie immer. Grandmam sieht älter aus.« Er schwieg kurz. »Lenny Griffiths möchte nach Spanien, gegen die Faschisten kämpfen.«
    Ethel schürzte missbilligend die Lippen. »So, will

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