Winter der Zärtlichkeit
Schlüsselloch. Ihr Sichtfeld war äußerst eingeschränkt. Dass sie Doss nicht sah, bedeutete noch lange nicht, dass er nicht da war. Wenn er gegangen wäre, hätte sie es gehört - oder nicht?
Erneut lief sie auf und ab, schnell dieses Mal und leise fluchend.
Langsam wurde es kalt im Zimmer. Sie ging zum Heizkörper und zerrte am Hebel, bis sie ein tröstliches Husten hörte. Gleichzeitig entdeckte sie aus dem Augenwinkel etwas hinter dem Fenster. Sie richtete sich neugierig auf und wischte mit dem Ärmel ihres Nachthemds ein Guckloch in das beschlagene Glas.
Stand da etwa Doss im Licht über der Schwingtür des Blue Garter Saloons? Der Umriss kam ihr auf jeden Fall vertraut vor, aber die Kleidung stimmte nicht. Zur Hochzeit hatte Doss einen Anzug getragen, und dieser Mann war ganz informell gekleidet.
Angestrengt spähte Hannah durch das Fenster und bemerkte kaum, wie ihre Nasenspitze das eisige Glas berührte. Dann strich der Mann ein Streichholz an der Wand des Saloons an. In dem orangefarbenen Licht konnte sie sein Gesicht genau erkennen.
Es war Doss, und er sah in ihre Richtung. Bestimmt sah er sie, wie sie ihn vom Hotelfenster aus beobachtete - wie eine dieser bekümmerten Heldinnen in Liebesromanen.
Nein. Das konnte er nicht sein.
Sie hatten zwar eine Menge Schwierigkeiten, das stimmte, aber trotz allem handelte es sich um ihre Hochzeitsnacht.
Hannah ballte die Hände zu Fäusten und wandte sich einen Moment vom Fenster ab, um ihre Fassung genauso zurückzugewinnen wie ihre Würde. Inzwischen wusste mit Sicherheit jeder in der Stadt von ihrer übereilten Hochzeit und dass sie eigentlich ihre Flitterwochen feiern sollten, auch wenn sie nicht weiter als bis Indian Rock gekommen waren. Wenn Doss diese Nacht also im Blue Garter Saloon verbrachte, ausgerechnet diese Nacht ...
Sie hantierte am Fenstergriff, um ihm etwas zuzurufen, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was. Doch noch bevor sie das Fenster hochschieben konnte, hatte er ihr den Rücken zugewandt und ging durch die Saloon-Tür. Ohnmächtig musste sie mit ansehen, wie die Türen sich schwingend hinter ihm schlossen.
Heute
Mit den Händen an den Hüften musterte Sierra den funkelnden Januarweihnachtsbaum und den Berg aus bunten Paketen, zerrissenem Geschenkpapier und bereits geöffneten Geschenken.
Ein Pullover. Ein Ledermantel, der an den von Travis erinnerte. Cowboystiefel und Cowboyhut. Eine Garnitur Spielzeugpistolen. Mehr, als sie Liam in all seinen sieben Lebensjahren geschenkt hatte.
Natürlich war Eve für all das verantwortlich. Zumindest für die Dekoration. Die Geschenke hatte sie aus Texas mitgebracht, nachdem sie vermutlich einen Lakai von McKettrickCo losgeschickt hatte, um die teuersten Läden zu plündern.
Bedeutete das, dass Sierra und Liam ihr wirklich wichtig waren, oder versuchte sie auf diese Weise nur, sich Absolution zu erkaufen?
Sierra spürte Eves Anwesenheit, brauchte aber ein paar Sekunden, bevor sie sich auf ein Gespräch einlassen konnte.
„Die Pistolen waren vielleicht nicht die beste Wahl“, gestand Eve leise von der Türschwelle aus, als ob sie nicht wüsste, ob sie wieder verschwinden oder bleiben sollte. „Ich hätte vorher fragen sollen.“
„Die ganze Sache ist nicht die beste Wahl“, entgegnete Sierra. Ihre Nerven waren so angespannt, dass sie glaubte, sie summen zu hören. „Es ist viel zu viel.“ Dann drehte sie sich um und sah ihre Mutter an. „Dazu hattest du kein Recht.“
„Liam ist mein Enkel“, hob Eve hervor.
„Dazu hattest du kein Recht!“, wiederholte Sierra voller Zorn.
Eve zuckte nicht einmal zusammen. „Wovor hast du solche Angst, Sierra? Dass er mich mögen könnte?“
Auf einmal war Sierra schwindlig. „Verstehst du denn nicht? Ich kann Liam keine solchen Geschenke machen. Und ich möchte nicht, dass er sich an diesen Lebensstil gewöhnt. Denn dann wird es später umso härter für ihn, wenn wir das alles wieder hinter uns lassen.“
„Was für ein Lebensstil?“ Zwar war Eves Auftreten nicht gerade provokativ, aber offensichtlich war sie entschlossen, sich zu behaupten. Für sie war alles so leicht, bei all dem Geld und der Macht. Großzügige Gesten waren für sie überhaupt kein Problem, aber Sierra war diejenige, die später die Scherben zusammenkehren musste, wenn sie wieder in der harten Realität gelandet waren.
„Der McKettrick-Lebensstil!“, explodierte Sierra. „Dieses große Haus, das Land, das Geld ..."
„Sierra, du bist eine McKettrick,
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