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Winter der Zärtlichkeit

Winter der Zärtlichkeit

Titel: Winter der Zärtlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Miller
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sich einredete, dass es sowieso keine Rolle spielte. Aber jetzt war der Moment der Wahrheit gekommen, unabhängig davon, wie schmerzhaft sie sein mochte.
    „Hank gehörte zu den Männern, die glauben, das Heft in der Hand zu haben, nur weil sie einen Penis besitzen. Einen Monat nach unserer Hochzeit hat er seine Stelle gekündigt - damals verkaufte er Eigentumswohnungen -, um Golfprofi im Country Club zu werden. Aber natürlich kam er nie dazu, sich zu bewerben. Davon abgesehen hätte er sowieso keinen Job bekommen, weil er nicht mal ein Neuner-Eisen von einem Putter unterscheiden konnte.“
    Sierra befeuchtete sich unbehaglich die Lippen.
    „Er war ein emotionales Leichtgewicht“, fuhr Eve unerbittlich fort. „Aber das ist dir sowieso klar, Sierra, oder?“
    Es war ihr klar, doch sie war nicht fähig, es laut auszusprechen. Darum nickte sie nur steif.
    „Womit hat er sein Geld verdient?“, fragte Eve. „Selbst in Mexiko muss Miete gezahlt und Essen gekauft werden.“
    Hank hatte gelegentlich als Barkeeper gearbeitet und stundenlang in irgendwelchen Hinterzimmern Poker gespielt. Das Haus, in dem sie damals gelebt hatten, gehörte Magdalena. „Er kam einfach irgendwie ... zurecht“, antwortete sie, rot vor Verlegenheit.
    „Aber du hattest Kleider, Schuhe, medizinische Versorgung, Geburtstagstorten und Spielsachen zu Weihnachten?“ Sierra nickte. Ihre Kindheit hatte sich durch zwei Dinge ausgezeichnet - eine vage, aber tiefgreifende Einsamkeit und eine für Kinder ungewöhnliche Freiheit. Und ganz plötzlich, endlich, kapierte sie. „Du hast ihm Geld zukommen lassen“, rief sie.
    „Ich habe dir Geld geschickt, über Hanks Schwester, und zwar vom allerersten Tag an. Deine Tante Nell war ziemlich clever. Sie hat den Scheck immer eingelöst und dann Hank das Geld telegrafisch angewiesen - mal über eine Bank, manchmal über den Serviceschalter in einem Supermarkt oder einem Lebensmittelladen. Irgendwann haben die von mir beauftragten Detektive die Spur aufgenommen, was damals nicht so einfach war, da es noch keine Computer gab.“
    Eine ganze Bilderfolge von Erinnerungen lief vor Sierras geistigen Auge ab - wie ihr Dad vor einem der Cambio- Schalter in San Miguel stand, wo Touristen ihre Reiseschecks einlösten oder ihr Geld in Pesos umtauschten. Damals war sie noch sehr klein gewesen. Aber sie hatte gesehen, wie er ein großes Bündel zusammengefaltet in seine Tasche steckte. Sie schämte sich für ihn, als sie an sein kleines, verstohlenes Lächeln dachte.
    Eve hatte recht. Hank Breslin hatte geglaubt, einen Anspruch auf das Geld zu haben. Und auch, wenn er immer dafür sorgte, dass Sierra alles hatte, was sie brauchte, war er nie übermäßig großzügig gewesen. Um genau zu sein, hatte Magdalena für die Extras gesorgt und nicht Hank. Die süße, runde und nach Gewürzen duftende Magdalena mit dem geduldigen Lächeln.
    Sierras Gefühle mussten sich auf ihrem Gesicht abzeichnen, denn Eve stand auf, kam zu ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter. Dann wandte sie sich ohne ein Wort ab und verließ das Zimmer.
    Trotz all seiner Fehler hatte sie ihren Vater geliebt. Ihn jetzt in diesem neuen Licht zu sehen, zerstörte jedoch viele Illusionen. Und noch schlimmer: Sierra erkannte, dass Liams Vater eine jüngere Version von Hank gewesen war. Er hatte zwar Karriere gemacht, doch sie war für ihn nicht mehr gewesen als eine willkommene Ablenkung. Er hatte gleich mehrere Menschen hintergangen, nur um seinen Spaß zu haben. Wie Hank glaubte er, ein Recht darauf zu haben, ganz egal, wer dabei verletzt wurde.
    Einen Moment lang hasste sie Adam, hasste sie Hank, hasste sie alle Männer.
    Sie fühlte sich zu Travis Reid hingezogen, schön. Doch nun beschloss sie, wieder einen Schritt zurückzutreten, und ein riesengroßes Nein! formte sich in ihr.

10. KAPITEL
     

1919
     
    W eit nach Mitternacht kam Doss ins Hotelzimmer zurück. Er roch nach Zigarren und Whiskey. Han- nah lag stocksteif da und beobachtete durch gesenkte Wimpern, wie er Hut und Mantel ablegte und die Stiefel auszog. Vielleicht wusste er, dass sie wach war, vielleicht nicht. Sie jedenfalls würde sich nicht verraten, indem sie mit ihm sprach. Außerdem befürchtete sie, ihn anzuschreien wie ein zänkisches Weib. Denn nach dem ersten Wort würden weitere folgen wie eine tobende Horde mit Schwertern und Knüppeln.
    Sollte er jedoch die Dreistigkeit besitzen, zu glauben, dass er jetzt noch seine ehelichen Rechte in Anspruch nehmen konnte, würde sie wie

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