Winter der Zärtlichkeit
ausgesehen habe.
Oh nein. Wenn sie täte, was sie wirklich tun wollte, nämlich entweder weglaufen oder in Tränen ausbrechen, würde dieser selbstgefällige alte Ochse die Neuigkeit umgehend im ganzen Land verbreiten. Und wie die Leute sich darüber amüsieren würden!
Eine weinende Braut.
Ein finster blickender, resignierter Bräutigam.
Das Geschwätz würde jahrelang nicht abebben.
Darum stand Hannah die Zeremonie durch.
Sie wiederholte das Ehegelübde, als sie dazu aufgefordert wurde, das Kinn hoch erhoben, den Rücken durchgedrückt und mit trockenen Augen. Die Tortur war beinahe vorüber, als plötzlich die Bürotür aufgerissen wurde und Doss’ Onkel Jeb hereinspaziert kam. Er sah für sein Alter noch immer gut aus. Grinsend betrachtete er das nicht sonderlich glücklich wirkende Paar.
„Dachte schon, ich hätte es verpasst“, sagte er.
Doss lachte, offenbar erfreut, einen anderen McKettrick zu sehen.
Der Pfarrer räusperte sich, er war nicht besonders begeistert über die Unterbrechung, wie es schien.
„Ich erkläre Sie hiermit zu Mann und Frau“, endete er schnell.
„Küss deine Braut“, drängte Jeb seinen Neffen, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Hannah errötete.
Als Doss sie küsste, fragte sie sich, ob er ohne seinen Onkel überhaupt auf die Idee gekommen wäre.
„Keine Blumen?“, fragte Jeb, nachdem Doss den Pfarrer bezahlt hatte, und sah sich in dem Büro um. „Keine Gäste?“
„War eine schnelle Entscheidung“, erklärte Doss.
Hannah errötete schon wieder.
„Oh“, meinte Jeb. Er schüttelte Doss die Hand, hieb ihm einmal auf die Schulter, dann drehte er sich zu Hannah und küsste sie sanft auf die Wange. „Werde glücklich, Hannah“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Gabe würde es so wollen.“
In Hannahs Augen brannten Tränen, und das, nachdem sie sich die ganze Zeit so tapfer gehalten und sich so angestrengt hatte, die glückliche Braut zu spielen. Sah man ihr ihre wahren
Gefühle doch an? Oder war Jeb nur so einfühlsam?
Sie nickte, unfähig zu sprechen.
„Ich dachte, du wärst unten in Phoenix“, wandte Doss sich an seinen Onkel. Falls er Hannahs Tränen bemerkte, so ließ er es sich nicht anmerken.
„Nein, ich musste mich um ein paar Geschäfte mit der Cattleman’s Bank kümmern. Bin nachmittags mit dem Zug angekommen. Es ist ein langer Ritt zur Ranch, darum habe ich beschlossen, die Nacht hier im Hotel zu verbringen und morgen zurück nach Phoenix zu fahren. Ich habe gerade im Speisesaal zu Abend gegessen, als jemand erwähnte, dass ihr beide euch hier mit einem Pfarrer eingeschlossen habt.“ Er warf Hannah einen Blick zu, und sie sah die Beunruhigung in seinen Augen. „Da dachte ich, dass ich mich selbst zur Feier einlade. Als ich Chloe davon erzählt habe, sagte sie natürlich, dass ich keine Manieren hätte. Nach all den Jahren glaubt meine Frau noch immer, mich ändern zu können.“
Doss schlang einen Arm um Hannahs Hüfte. „Wir sind froh, dass du gekommen bist. Nicht wahr, Hannah?“
Da sie nicht sofort antwortete, besaß er die Frechheit, sie leicht durch den Stoff ihres so wenig feierlichen grauen Kleides zu kneifen.
„Ja“, sagte sie.
„Wo ist Tobias?“, erkundigte sich Jeb. „Chloe wird mir die Haut über die Ohren ziehen, wenn ich nicht mit einem ausführlichen Bericht nach Hause komme. Diese Frau will alles über jeden wissen. Wie groß der Junge geworden ist, wie er in der Schule vorankommt und all das.“
„Er hat eine schwere Erkältung“, erwiderte Doss. „Wir sind mit ihm in die Stadt gekommen, um ihn zum Arzt zu bringen.“
„Und dann habt ihr einfach beschlossen zu heiraten, wo ihr schon mal hier seid?“
Nun errötete sogar Doss, und Hannah schwieg schuldbewusst.
Jeb lächelte. „Dann ist der Junge hier im Hotel?“
Noch immer stumm, nickte Hannah.
Jeb sah Doss an. „Warum gehst du nicht rauf und siehst nach, ob er sich über einen Besuch seines alten Onkels Jeb freuen würde?“
Nach einem kurzen Zögern nickte Doss und verließ den Raum.
„Ich werde Doss dasselbe fragen, was ich dich jetzt frage“, begann Jeb in der Sekunde, in der sie allein waren. „Was geht hier vor?“
Hannah schluckte. „Nun, es schien uns einfach vernünftig zu heiraten.“
„Vernünftig?“
„Weil wir doch beide auf der Ranch leben. Du weißt, wie die Leute ... über so was tratschen.“
„Das weiß ich. Chloe und ich haben in unserer Zeit auch für eine ganze Menge Tratsch gesorgt. Aber ich hätte gedacht, dass die
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