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Winter der Zärtlichkeit

Winter der Zärtlichkeit

Titel: Winter der Zärtlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Miller
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miterlebt, wie drei ihrer Schwestern starben und als erwachsene Frau Gabe verloren. Nun musste sie damit klarkommen, dass keiner der mutigen Träume, über die sie mit so viel Hoffnung und Zuversicht gesprochen hatten, sich jemals erfüllen würde.
    Keine gestohlenen Küsse mehr.
    Kein geheimes Gelächter mehr.
    Kein Vieh, das auf tausend Hügeln graste.
    Ich werde nicht weinen, ich habe genug geweint, sagte sich Hannah. Ich habe mich leer geweint.
    Warum aber kamen die Tränen dann immer wieder?
    „Hannah?“
    Erschrocken sah sie auf. Doss stand an der Treppe. Er hatte im Stall gearbeitet und Holz gehackt, weil ein weiterer Schneesturm im Anmarsch war. Dass sie ihn nicht hatte hereinkommen hören, ärgerte sie.
    „Tobias geht es schlechter“, informierte er sie.
    Panik stieg in Hannah auf, schnürte ihr die Luft ab.
    Sie rannte zur Treppe, doch als sie an Doss vorbei wollte, hielt er sie fest.
    „Ich fahre in die Stadt, um den Arzt zu holen.“
    „Ich werde Tobias schnell warm einpacken, dann können wir ...“, rief sie.
    Doch sein Griff an ihrer Schulter verstärkte sich. Erst da begriff sie, dass er ihr nicht einfach nur den Weg versperrt hatte, sondern sie tatsächlich berührte. „Nein, Hannah“, sagte er. „Dafür ist der Junge zu krank.“
    „Angenommen, der Arzt kommt nicht mit?“
    „Er wird mitkommen. Geh jetzt zu Tobias. Lass das Feuer nicht ausgehen, egal, was geschieht. Ich komme zurück, so schnell ich kann.“
    Hannah nickte, wollte zu ihrem Sohn und sich gleichzeitig an Doss festklammern und ihn anflehen, nicht zu gehen, weil dann bestimmt etwas Schreckliches geschehen würde.
    „Geh zu ihm“, wiederholte Doss und ließ sie los.
    Es fühlte sich an, als ob er sie aufrecht gehalten hätte. Nun, da er sie nicht mehr hielt, schwankte sie, kämpfte um ihr Gleichgewicht. Dann, ohne nachzudenken, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn direkt auf den Mund. „Sei vorsichtig, Doss McKettrick“, bat sie. „Komm heil und gesund zu uns zurück.“
    Einen Moment sah er ihr tief in die Augen, als ob er darin Geheimnisse entdeckte, die sie sogar vor sich selbst hatte, dann nickte er und lief zur Tür. Das Letzte, was Hannah von ihm sah, bevor sie selbst die Treppe hinaufstürmte, war, wie er Mantel und Hut vom Haken nahm.
    Tobias lag unruhig in seinem Bett, sein Nachthemd war schweißnass, genau wie das Bettzeug. Seine Zähne klapperten, seine Lippen waren blau, doch seine Haut glühend heiß.
    Hannah musste stark sein. Sie durfte sich nicht von der Angst überwältigen lassen.
    Sie musste ihm helfen, denn egal, wie unfähig sie auch sein mochte, es gab niemand anders, der es tun würde.
    Also schob sie die Ärmel hoch, steckte weitere Nadeln in ihr Haar, damit es ihr nicht ins Gesicht fiel, und lief wieder nach unten, um Wasser aufzuwärmen.
    Sorgsam darauf bedacht, das Feuer nicht ausgehen zu lassen, legte sie großzügig Holzscheite nach, pumpte dann Wasser in jeden Topf und Kessel, den sie besaß, und stellte sie auf den Herd. Danach zerrte sie die Badewanne aus der Speisekammer bis in die Mitte des Raums.
    Die Anweisungen schienen irgendwo aus ihrem Innern zu kommen. Sie überlegte gar nicht, was sie tat, wog nicht die eine Idee gegen die andere ab. Es war, als ob eine stärkere, klügere, bessere Hannah vorgetreten wäre, um die unsichere Hannah zur Seite zu schieben.
    Diese Hannah wusste, was zu tun war. Die andere hielt sich im Hintergrund, rang mit den Händen und stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
    Als sie Tobias eine Stunde später, nachdem die Wanne voll mit heißem Wasser war, aus seinem Bett hob und hinuntertrug, war der Junge praktisch im Delirium.
    In der Küche zog sie ihn aus, setzte ihn in die Wanne und schrubbte ihn ab, während sie die ganze Zeit leise auf ihn einredete - zuversichtlich, ohne auch nur ein Mal innezuhalten und darüber nachzudenken, was sie als Nächstes sagen sollte.
    „Dir geht es bald wieder gut, Tobias. Im Frühjahr wirst du mit deinem Pony über die Felder reiten und im See schwimmen. Du bekommst den Hund, den du dir so sehr wünschst - du darfst ihn dir selbst aussuchen und er darf sogar in deinem Zimmer schlafen. An deinen Füßen, wenn du willst. Du kannst Onkel Doss ab sofort ,Pa‘ nennen, und im Herbst wird es hier ein neues Baby geben. Stell dir mal vor, Tobias, du bekommst einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester. Du darfst den Namen aussuchen ..."
    Tobias erschauerte, sogar in dem heißen Wasser war ihm kalt.
    Hannah

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