Winter - Erbe der Finsternis (German Edition)
verlieren.
Kalter Schweiß perlte auf ihrer Stirn.
Es gab keinen Folgebrief nach dem letzten Schreiben, nur einen Zettel mit der gleichen Handschrift, hastig und wütend hingekritzelte Worte.
Iago Rhoser. Büro Moore.
10:00 Uhr – 20. August
A. F.
Ihr wurde schwindlig. Das war genau der Tag, an dem ihre Großmutter zusammengebrochen und ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
Zu einem brennenden Leben
erwachen
I ch weiß, dass du mir alles erzählen wolltest, Oma«, sagte Winter leise und mit sanfter Stimme.
Marion Starr fixierte sie mit gläsernem Blick. Einzig ihre Hand, die von der Enkelin gehalten wurde, zuckte leicht.
»Überall Blut«, murmelte sie zusammenhanglos.
»Ich weiß«, erwiderte das Mädchen.
»Viele Jahre sind vergangen seither …«
Winter konnte sie nicht einmal anlächeln.
»Ich habe es erst jetzt begriffen, Oma.«
Allmählich begann Marion aus den Nebeln aufzusteigen, die sich um ihr Bewusstsein gehüllt hatten. Winter sah sie leicht nicken, die Lippen verziehen.
»Ich wusste, dass du es schaffen würdest, Liebes.«
»Es tut mir leid, dass ich dich so lang allein gelassen habe …«
Ihre Stimme kippte.
»Du konntest nichts tun, keine von uns beiden konnte etwas tun. Ich habe es nicht geschafft, dich rechtzeitig wegzubringen.«
Für einen Augenblick flackerte im ausdrucksleeren Gesicht der Frau wieder der stolze Blick auf, den Winter so gut kannte. Die grünen Augen belebten sich.
»Jetzt bin ich bei dir, Oma. Du musst nicht mehr allein kämpfen«, sagte Winter.
Marion lachte rau.
»Ich habe den Kampf bereits verloren, Kleines«, flüsterte sie, »mein Kopf ist nicht mehr wie früher …«
»Das wird schon wieder!« Winter hoffte von ganzem Herzen, dass es wahr wäre.
»Unterbrich mich nicht. Wir wissen nicht, wie viel Zeit uns bleibt …«, fuhr ihre Großmutter hastig fort. »Ich muss dir noch so viele Dinge sagen!«
Sie seufzte und drückte Winters Hand.
»Den Anhänger hast du noch, nicht wahr?«
Sie prüfte mit dem Blick, ob Winter die Silberkette am Hals trug, und nickte erneut.
»Trenn dich niemals davon!«, befahl sie. »Weder unter Freunden noch unter Feinden. Er ist deine einzige Chance auf Rettung, mein Schatz.«
Winter blinzelte. Was hatte ihr Schmuckstück mit dem Ganzen zu tun?
»Ich will, dass du es mir jetzt versprichst, wo ich einigermaßen klar im Kopf bin und erkenne, dass du begriffen hast. Dein Vater gefiel mir nicht und ich habe nie verstanden, wieso Elaine sich gerade ihn ausgesucht hatte, doch dieser Anhänger ist das beste Geschenk, das er dir machen konnte.«
Winter fühlte ihre Augen brennen, wollte aber nicht, dass ihre Großmutter sie in Tränen sah.
»Ich verspreche es dir, Oma«, sagte sie feierlich.
Marion riss die Augen auf, und ein Schleier legte sich erneut über ihren Blick.
Winter musste mit ansehen, wie er sich zunehmend trübte.
»Wieso? Wovor beschützt er mich?«
Die Frau schloss die Augenlider. Die Muskeln entspannten sich allmählich.
»Vor dir selber.«
Dann bemerkte das Mädchen, dass der Schlaf gesiegt hatte.
»Ab jetzt kämpfe ich für dich«, wiederholte sie.
Sie drückte ihrer Großmutter einen leichten Kuss auf die Stirn und verließ den Raum.
Es regnete in Strömen, als Susan sich auf den Rückweg machte. Unter dem starken Platzregen konnte der Taxifahrer trotz der Scheibenwischer fast nichts sehen und musste im Schritttempo fahren.
Susan änderte laufend ihre Haltung: Sie schlug die Beine übereinander, streckte sie aus, schlug sie wieder übereinander. Nach einer Weile war sogar der Taxifahrer genervt.
»Haben Sie es eilig, Madam?«, fragte er mit einer Höflichkeit, die sich allein der immer höheren Anzeige des Taxameters verdankte.
»Ja. Sehr sogar«, erwiderte sie nervös. Der Schlafmangel machte sich langsam bemerkbar, ihre Zeit lief ab und Winter war immer noch unauffindbar.
Nach einer letzten Kurve kam das Taxi am Ziel an. Susan reichte dem Taxifahrer eine unverhältnismäßig hohe Summe und stieg im strömenden Regen aus.
Sie spannte nicht einmal den Regenschirm auf, sondern stürzte wie eine Furie in den luxuriösen Eingang eines Wohnhauses mitten in der City.
Mit einer raschen Handbewegung grüßte sie den Portier und wartete vor dem Aufzug.
Sie war so angespannt, dass sie beim Klingeln ihres Handys zusammenzuckte.
»Wo zum Teufel bist du?«, brauste sie auf.
Winter seufzte.
»Ich wollte meine Oma sehen«, sagte sie mit tonloser Stimme, »und jetzt bin ich auf dem
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