Winter - Erbe der Finsternis (German Edition)
bewusst, Mr Vaughan«, versicherte er wahrheitsgemäß.
»Umso besser, denn wir haben ein ernstes Problem.«
Die beiden Jungen sahen ihn verständnislos an.
»Winter Starr ist verschwunden.«
Vaughan schwenkte die Flüssigkeit in seinem Glas, amüsiert über ihre Bestürzung.
»Die Familien haben das ganze Königreich nach ihr durchsucht«, fügte er nach ein paar Augenblicken hinzu und beobachtete sie aus den Augenwinkeln.
Rhys Llewelyns Gesichtsausdruck war undurchdringlich geworden, Cameron saß völlig versteinert da.
»Ich könnte versuchen, über Lorna etwas herauszufinden, sie sind Freundinnen«, schlug er nach einer Weile vor.
»Ich will, dass Llewelyn nicht von deiner Seite weicht. Es wird etwas dauern, bis ich deiner Fähigkeit zur Selbstkontrolle wieder vertrauen kann«, erklärte der Lehrer, »und ich erwarte von euch absolute Diskretion.«
Bevor Rhys hinter Farland den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um, als hätte er es sich anders überlegt.
»Eine Frage noch, Mr Vaughan.«
Der Lehrer hob eine Augenbraue.
»Wieso dieses ganze Aufhebens wegen eines Mädchens? Die Familien haben sich vorher nie um sie gekümmert … Was hat sich geändert?«
Da täuschst du dich vielleicht, Llewelyn
, dachte er. Er stützte das Kinn in eine Hand und schloss, in einer nachdenklichen Geste, ganz leicht die Augenlider.
»Das wüsste ich auch gern.«
Als er allein war, griff Vaughan wieder nach dem Glas, trank das Serum in kleinen Schlucken aus und fand es unbefriedigend wie seit Jahren nicht mehr. Ohne es zu wissen, hatte Rhys Llewelyn das Problem auf den Punkt gebracht.
Welche Rolle spielte Winter Starr in der ganzen Geschichte?
Die Familien kümmerten sich um ihre Mitglieder, das war klar, aber wenn es etwas gab, das er im Laufe der Zeit gelernt hatte, dann, dass sie keine unnötigen Anstrengungen unternahmen.
Und außerdem: Aus welchem Grund hatte Alaric Lochinvar, der Großmeister des Ordens der Nacht, nach dem Angriff im Wald gerade ihn, seine rechte Hand, gesandt, um über das Mädchen zu wachen?
Er hob das Glas und widmete den letzten Schluck Winters silbernen Augen und ihren Geheimnissen.
15. Juli 2012
Sehr geehrte Mrs Starr,
ich schreibe Ihnen aufgrund einer beunruhigenden Meldung von Richter Moore.
Betrachten Sie diesen Brief als eine informelle Ermahnung in der Hoffnung, unangenehme Maßnahmen für alle Beteiligten vermeiden zu können.
Ich muss erneut mit Nachdruck wiederholen, dass jede persönliche Initiative von Ihrer Seite die kostbare Arbeit von fünfzehn langen Jahren aufs Spiel setzen würde.
Denken Sie daran: Dieser Gefahr darf sich niemand aussetzen, und weder die Familien noch der Orden sind bereit, sie in Kauf zu nehmen.
Aufgrund Ihres tadellosen Verhaltens in den vergangenen Jahren beschränke ich mich auf diese eine Ermahnung. Sie kennen die Regeln und unseren Standpunkt. Die Entscheidung, Ihrer Enkelin die Wahrheit zu sagen, steht nicht Ihnen zu.
Ich bin sicher, dass Sie Ihr Vertrauen in die Rechtsprechung des Rats nicht verloren haben.
Aeron Fennah
Winter sah ein paar runde Schmutzränder auf dem eleganten, elfenbeinfarbenen Briefpapier und verstand, dass ihre Großmutter geweint haben musste.
Sie dagegen besaß keine Tränen mehr, war nur noch von blinder Wut erfüllt, die sie innerlich verzehrte.
Nach fünfzehn Jahren des Schweigens wollte Marion Starr ihr also endlich die Wahrheit sagen, hatte jedoch den Fehler begangen, es genau demjenigen gegenüber zu erwähnen, der den Auftrag hatte, dies zu verhindern.
Vielleicht war das der Grund gewesen, warum sie verreisen wollte …
Alles, was Winter über Aeron Fennah wusste, war, dass er in der Hierarchie der Familien eine so hohe Stellung einnahm, dass er berechtigt war, im Namen des Rats der beiden Geschlechter zu sprechen. Winter spürte zum ersten Mal, dass sie ihn hasste.
Sie hasste ihn dafür, dass er ihr Leben und das ihrer Großmutter gelenkt hatte, als wäre es ein Experiment, dass er sie im Unwissen und ihre Großmutter in Schrecken gehalten hatte, sowie für den abscheulichen Satz: ›Die Entscheidung, Ihrer Enkelin die Wahrheit zu sagen, steht Ihnen nicht zu.‹
Winter fühlte, wie eine quälende Angst ihr die Lungen zudrückte. Man hatte ihr sogar das Fantasiebild ihrer Eltern genommen, denn jetzt wusste sie, dass alles, was sie über sie zu wissen geglaubt hatte, falsch gewesen war.
Genug! Hör auf!
Sie durfte nicht weitergrübeln, sonst würde sie vollständig die Kontrolle
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