Winter - Erbe der Finsternis (German Edition)
jemanden und drehte sich instinktiv um.
Als sie sich wieder umwandte, war Rhys verschwunden.
W
inter rannte durch einen dunklen Flur, ohne Zeitgefühl.
Unter ihren nackten Füßen spürte sie einen weichen, warmen Teppich, der sie an das Haus der Chiplins erinnerte. Auf beiden Seiten des Flurs befanden sich verschlossene Holztüren.
Unendlich viele Türen, der Flur schien kein Ende zu nehmen.
Und jeder Raum hinter den Türen barg ein Geheimnis, oder eine Antwort.
Nach einer Weile wurde sie sich bewusst, dass die Finsternis nicht undurchdringlich war, wie sie gedacht hatte, sondern dass ein fahles Licht sie durchbrach.
Winter sah sich um und begriff endlich, dass das Licht von dem Anhänger ausging, der auf ihrer Brust leuchtete wie ein kleiner Stern.
›Das beste Geschenk, das dein Vater dir machen konnte …
‹
Die Worte ihrer Großmutter kamen ihr wieder in den Sinn und sie musste lächeln.
Bestärkt von dem matten Schimmer, ging sie weiter und weiter.
Ihr schien, als wäre sie die ganze Nacht unterwegs gewesen, und ein Teil von ihr war sich bewusst, dass alles nur ein Traum war.
Dann endete der Flur unvermittelt vor einer weiteren Tür.
Dahinter wartete die Wahrheit auf sie, dessen war sie sich sicher.
Sie nahm all ihren Mut zusammen und drückte auf die Klinke. Dass die Tür verschlossen war, erstaunte sie nicht sehr.
Sie begann zu suchen, während ihr Anhänger kleine Regenbogen auf die Wände zeichnete.
Dann flimmerte sein Licht und erlosch.
Winter hatte nie Angst gehabt im Dunkeln, doch jetzt rieselte es ihr eiskalt über den Rücken.
Instinktiv griff sie nach der vertrauten kühlen Kristallkugel an ihrem Hals.
Ihre Finger glitten über die kleinen Glieder der Silberkette und ertasteten einen Schlüssel.
Beim Klingeln des Weckers entfuhr ihr ein Stöhnen.
Die Schulferien waren vorbei, und es war Zeit aufzustehen.
Unwillig schlüpfte Winter unter der Bettdecke hervor und hoffte, sie würde rechtzeitig ins Bad kommen, um vor Eleri zu duschen.
Winter saß etwas abseits an einem Bibliothekstisch, der Nachmittag ging langsam in den Abend über, sie wälzte dicke, staubige Bücher über Folklore und durchforstete die Zeitungsarchive der letzten fünfundzwanzig Jahre.
Sie las konzentriert und machte sich fortlaufend Notizen.
Auf der Suche nach Informationen über die Familien und den Rat war ihr jedes Detail willkommen, aber mehr als alles andere wünschte sie sich, einen Namen zu finden, Iago Rhoser.
Sie merkte nicht einmal, dass die Öffnungszeit der Bibliothek bereits vorüber war.
Darran Vaughan behielt sie von Weitem im Auge.
Die kleine Starr hatte die Angewohnheit, am Bleistift zu kauen und Haarsträhnen um den Finger zu wickeln, wenn sie las. Sie schien sich nie zu entspannen, immer darauf bedacht, unter Kontrolle zu behalten, was sie innerlich umtrieb.
Ihre Präsenz war seiner Konzentration nicht gerade zuträglich, und dem Lehrer wurde bewusst, dass er die kleinen Anzeichen ihrer Nervosität mit größerer Aufmerksamkeit studierte als seine Dokumente.
Mit einem rätselhaften Lächeln sah er ihr zu, wie sie mit dem Bleistift Notizen machte und die Lippen beim lautlosen Lesen bewegte.
Schließlich stand er auf und ging zu ihr hin.
»Wird dein Wissensdurst je gestillt sein?«
Die Stimme des Lehrers riss Winter aus ihrer Lektüre.
»Erst wenn ich gefunden habe, was ich suche«, antwortete sie und runzelte die Stirn.
Vaughan lehnte sich an ihren Tisch, achtete jedoch auf den nötigen Abstand, um nicht in ihre Privatsphäre einzudringen.
»Reicht dir das, was du bereits weißt, noch nicht?«
Winter überlegte.
Wie weit konnte sie Darran Vaughan vertrauen?
»Ich habe mein bisheriges Leben weitab von den Familien verbracht«, rief sie ihm in Erinnerung. »Es ist wohl nicht so abwegig, dass ich gern mehr über sie erfahren möchte …«
»Nein, wahrscheinlich nicht«, räumte der Vampir ein.
Ganz ungeniert betrachtete er die Bücher, die sie sich ausgeliehen hatte.
»Gewisse Dinge wirst du nicht in den Büchern finden …«, erklärte er.
»Dessen bin ich mir bewusst.«
Winter begann wieder auf dem Bleistift herumzukauen. Sie hatte keine Ahnung, was für eine Rolle der Orden spielte, und es war gut möglich, dass Iago Rhoser ein Vampir war.
»Wer ist Iago Rhoser?«, fragte sie unvermittelt.
Vaughan griff sich mit der Hand ans Kinn und schaute sie an.
Mutiges Mädchen
, dachte er,
oder vielleicht einfach nur naiv
…
Er hätte nicht zu sagen vermocht wieso, aber
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