Winter - Erbe der Finsternis (German Edition)
Erstaunen die Oberhand gewann.
»Nein …«, stieß er hervor und wandte sich brüsk von ihr ab, »nein!«
Sie sah das unkontrollierte Zucken seiner Schultern und wünschte von ganzem Herzen, sie könnte die Zeit zurückdrehen und ihre Worte ungeschehen machen.
Die Stimme des Jungen war unnatürlich monoton.
»Bitte sag, dass ich mich verhört habe«, murmelte er bloß, »das kannst du nicht ernst gemeint haben …«
A ls sie in Vaughans Büro zurückkehrte, kämpfte Winter immer noch gegen die Tränen.
Sie fühlte sich erschöpft und wartete nur darauf, endlich ins Bett fallen zu können, damit der Schlaf ihre Wunden heilte.
Sie klopfte, grüßte hastig den Lehrer und eilte zu ihrem Schreibtisch.
Darran Vaughan war im Nu bei ihr.
»Hey«, sagte er und kauerte vor ihr nieder.
Er schmunzelte in sich hinein: Er lebte seit mehr als zweihundert Jahren und dennoch war dieses eine Wort alles, was ihm beim Anblick eines weinenden jungen Mädchens in den Sinn kam …
Winter fuhr sich mit einer Hand über die Augen, versuchte sie ungeschickt zu trocknen, doch ein klarer Tropfen fiel auf die Hand des Mannes.
Vaughan zog ein Taschentuch aus der Tasche und reichte es ihr.
»Entschuldigen Sie.«
Winter wollte aufstehen, doch er hielt sie mit einer Hand auf der Schulter zurück.
»Setz dich einen Augenblick, ich hole dir etwas zu trinken.«
Winter sah ihn an, etwas ruhiger.
»Machen Sie sich keine Umstande, ich bitte Sie«, brachte sie mühsam hervor.
Um sie erröten zu lassen, musste er nur eine Augenbraue hochziehen.
Vaughan erhob sich und ging zum Wasserkocher. Er hantierte länger damit herum, als nötig gewesen wäre, um dem Mädchen Zeit zu geben, sich zu fassen.
»Möchtest du einen Tee?«
Die ganze Szene hatte in den Augen beider etwas Bizarres.
»Ich wusste nicht, dass Sie Tee trinken …«, rutschte Winter heraus, nachdem sie sich die Augen getrocknet hatte.
»Eine alte Gewohnheit.«
Der Lehrer sah zu, wie das Wasser über die Teebeutel rann und sich dunkel einfärbte.
Er stellte alles Notwendige auf ein Tablett und brachte es zum Schreibtisch.
»Es war früher eine gesellschaftliche Gewohnheit, in gewissen Kreisen zumindest. Die Engländer misstrauten praktisch jedem, der sie nicht wertzuschätzen wusste«, erklärte er leicht belustigt.
Die Tasse klirrte, als Winter sie in die Hand nahm.
»Außerdem ist der Zeitpunkt doch gerade richtig, oder?«
Winter ließ ihren Blick aus dem Fenster gleiten, betrachtete die Farben am Himmel, die den Abend ankündigten.
In den vom Wind bewegten Zweigen begann eine Krähe zu krächzen.
»Möchtest du darüber reden?«
Winter rührte mit dem Löffel in ihrem Tee. Es war bereits das dritte Mal, dass sie die Geste wiederholte.
»Es ist nichts, glauben Sie mir«, murmelte sie. »Nur eine private Sache diesmal …«
Vaughan nickte.
»Die können ebenfalls schmerzhaft sein.«
Sie lächelte traurig. Sie hatte mit Gareth gestritten, war in den Präsident der Nox verliebt und ein Vampir wollte sie trösten.
»Leider nicht nur für mich«, sagte sie. »Man läuft immer Gefahr, auch andere zu verletzen.«
Vaughan betrachtete sie mit einem intensiven Blick, auf dem der dunkle Schleier der Jahrhunderte lag.
»Wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass alles, was wir tun, Konsequenzen hat … Manche sind angenehm, andere unerfreulich. Für manche bestraft uns die Zeit, das Schicksal, die Gerechtigkeit. Andere verbüßen wir in Einsamkeit.«
»So gesehen ist das Leben ein unendlicher Krieg«, widersprach Winter.
Vaughan schmunzelte angesichts ihres Lebenswillens.
»So ist es. Das Leben besteht aus Niederlagen und Eroberungen, aus fortwährenden Entscheidungen. Deshalb ist es so reich.«
Das Mädchen zog einen anmutigen Schmollmund.
»Das ist etwas zu philosophisch, um mich wirklich zu trösten.«
»Nichts als gesunder Menschenverstand eines alten Mannes«, erwiderte er ironisch.
Er sah aus, als wäre er nicht einmal vierzig. Nur seine Augen verrieten eine wesentlich längere Lebenserfahrung.
»Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gern den Zorn deiner Beschützer herausfordern, indem ich dich nach Hause bringe …«
Sie stand auf und streckte sich.
»Diese ganze Feindschaft ist einfach absurd …«, brummte sie.
Vaughan nickte.
»Du hast den Sinn des Paktes erfasst …«, warf er quasi gleichgültig hin.
Winters Gesicht verdüsterte sich jedoch.
Welchen Sinn?
, fragte sie sich bitter.
Uns zu Verbündeten zu machen, die kein Recht auf
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