Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
würde der Ehemann keinen Einspruch mehr gegen die Aktivitäten seiner Frau im Rahmen der Kirche erheben. Sie arbeiteten für dieselbe »Firma«.
IM Gisela war für eine führende Stellung in der Evangelischen Kirche von Greifswald vorgesehen. Bevor sie ihre Karriere jedoch antreten konnte, begann in Mecklenburg-Vorpommern die Revolution. Da beteiligte sich die Stasi-Dame an den Vorbereitungen zur Gründung der SDP, der Sozialdemokratie in der DDR - auch hier hatten ihre Auftraggeber Informationsbedarf. Sobald der erste Stasi-Verdacht auftauchte, zog sie sich allerdings aus der oppositionellen Bewegung zurück und wechselte in eine Wachschutzfirma, mit der sich ihre ehemaligen Führungsoffiziere inzwischen eine neue Existenz aufgebaut hatten.
1994 suchte Jörn Mothes Ines Fleckstein auf, einer jener Kommilitonen, die ihr bei der Taufe die Hand aufgelegt und an ihrer Hochzeit teilgenommen hatten. Tagsüber hatte er früher mit ihr Hebräisch gelernt, und abends war er Gegenstand ihrer Spitzelberichte geworden. IM Gisela fand ihm gegenüber kein Wort des Bedauerns. Für Honecker, erklärte sie vielmehr, hätte sie den Staat auch mit einer Maschinenpistole gegen Feinde verteidigt. Für den Theologen Mothes, der später Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern wurde, stellt sich seitdem die Frage, was eine Taufe und eine kirchliche Trauung, die im Auftrag der Stasi erfolgten, eigentlich wert seien.
Die Prozedur bei der Anwerbung eines IM war vorgegeben. Zunächst wurde ein persönliches »Profil« des Anzuwerbenden erstellt, dann wurde ein IM-Vorlauf eröffnet und eine entsprechende Akte angelegt. Während dieser Phase nahm man Kontakt zu ihm auf, und schließlich wurde er schriftlich zur geheimen Zusammenarbeit verpflichtet. Durch die Arbeit mit den Akten haben wir allerdings gelernt, dass es von diesem Verfahren Abweichungen gab. So hieß es in einer Anweisung Anfang der fünfziger Jahre, dass in bestimmten Fällen auf eine schriftliche Verpflichtung des IM verzichtet werden könne: »Entscheidend ist nicht die Verpflichtung, sondern die positive Mitarbeit des Kandidaten.« Diese Praxis galt für die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern bis zur letzten gültigen Richtlinie 1979.
Sehr hilfreich bei der Aufdeckung derartiger Sonderregeln
war Oberst Becker, einer der viel geschmähten Stasi-Offiziere, die wir 1990 bewusst in die Behörde übernommen haben. Becker war Leiter der Zentralen Auswertungs-und Informationsgruppe (ZAIG) gewesen, die die gesamten Informationen aus dem MfS komprimiert und für den Minister aufbereitet hatte. Er wusste, wo sich welche Unterlagen befanden, und er konnte sie interpretieren, wenn wir zunächst nur Mutmaßungen anstellten. Er war einer der wenigen kooperativen und umkehrwilligen Stasi-Mitarbeiter, die mit ihren Kenntnissen dem Bürgerkomitee geholfen hatten. Das empfahl ihn für unsere Behörde, und so haben wir ihn eingestellt.
Auf die Anwerbung ohne Verpflichtungserklärung wurde häufig an den Universitäten, im Kulturbereich und natürlich in den Kirchen zurückgegriffen, weil hier Verrat besonders sanktioniert war. Der Greifswalder Bischof Gienke zum Beispiel, IMB Orion, hätte sicherlich keine Unterschrift geleistet und sich damit als Stasi-Helfer definiert. Er wollte die Kontakte zur Stasi als eine der selbstverständlichen Aufgaben seines Amtes sehen, dasselbe galt für die Oberkirchenräte in seiner Umgebung. Fast alle kirchenleitenden IM hatten keine Verpflichtungserklärung unterschrieben und gingen nicht davon aus, als IM geführt zu werden, und so waren sie nach 1990 oft erschrocken und gekränkt, dass ihnen Vorhaltungen gemacht wurden. Viele von ihnen ließen gar kein Unrechtsbewusstsein erkennen. Wenn sich jemand aber regelmäßig mit seinem Führungsoffizier traf, wenn er dem MfS aus seinem Aufgabenbereich berichtete, unter Umständen sogar konspirative Wohnungen aufsuchte, Geschenke und Vergünstigungen, manchmal gar Orden akzeptierte, ging die Stasi von einer festen Zusammenarbeit aus - unabhängig davon, ob eine Unterschrift existierte oder nicht. Da unsere Behörde laut Gesetz verpflichtet war und ist, in ihren Auskünften über Verstrickungen zu dokumentieren, was in den Akten enthalten ist, haben wir in diesen Fällen selbstverständlich weitergegeben, dass diese Personen bei der Stasi in IM-Akten geführt wurden.
Also nicht die Behörde hat die IM-Bezeichnung vergeben,
sondern die Staatssicherheit. Dennoch mussten wir oftmals
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