Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
oder eine Inquisition gegeben habe, widerspricht vollständig den Fakten. Nur in einem einzigen Bereich wurde generell jeder IM aus dem Dienst entlassen - das war die Bundeswehr. In allen anderen Bereichen fielen die Entscheidungen nach Überprüfung des Einzelfalls. Jedem Betroffenen wurde rechtliches Gehör eingeräumt; er konnte seiner Stasi-Akte eine Erklärung beifügen, sofern er der Meinung war, dass das, was dort über ihn vermerkt worden war, in der Sache falsch sei. Danach wurde die Belastungslage bewertet, wobei sich immer ein Entscheidungsspielraum ergab. Bei einem einfachen Polizisten beispielsweise, der während des Wehrdienstes angeworben worden war und nur dreimal äußerst begrenzte Informationen geliefert hatte, entschied manche Behörde: Den können wir weiter arbeiten lassen. So kam es, dass etwa in der Lehrerschaft und der Polizei ein hoher Prozentsatz ehemaliger IM weiter beschäftigt wurde. In Sachsen-Anhalt beispielsweise, wo auf der Ebene der Ministerien, Regierungspräsidien und nachgeordneten Behörden in sechs Prozent der beantragten Auskünfte eine IM-Belastung vorlag, ist nur ein Drittel dieser Arbeitsverhältnisse gelöst worden. Und aus der Berliner Lehrerschaft, in der sich 4,7 Prozent der Überprüften als IM-belastet herausstellten, sind nur 0,9 Prozent entlassen worden. Einige der Entlassenen sind vor Gericht gezogen und haben vor deutschen Arbeitsgerichten sehr ausführlich Gehör gefunden. Die Kündigungen wurden in manchen Fällen als überzogen und nicht verhältnismäßig gerügt und mussten zurückgenommen werden.
Vor allem in den ersten Jahren wurde ich immer wieder zum Objekt politischer Attacken, in einem Fall sogar einer Intrige, die
mich ahnen ließ, wie einst Zersetzungsmaßnahmen funktioniert haben müssen. Anfang 1991 erhielt Hansjörg Geiger einen Anruf aus dem Bonner Innenministerium. Man wollte wissen, was denn dran sei an dem Gerücht, das angeblich auf den Aussagen von drei Stasi-Offizieren aus Rostock basierte, Gauck sei ein IM? Obwohl ich als Betroffener dazu nie meine Zustimmung gegeben hatte, war ein Teil meiner Opferakte »Larve« an die Öffentlichkeit gelangt. Es handelte sich um den Bericht, den Stasi-Offizier Terpe nach unserem Treffen Ende Juli 1988 mit Überlegungen geschlossen hatte, ob nicht versucht werden sollte, mich als IM zu werben. Die Welt druckte den Bericht im April 1991, ein PDS-naher Verlag druckte ihn nach. Ich war zwar bereits als Abgeordneter der Volkskammer überprüft worden, aber Geiger machte sich dennoch auf den Weg nach Rostock, um mit Tatsachen aufwarten zu können. Er sah die noch versiegelte Originalakte ein und meldete nach Bonn, dass definitiv keine Anwerbung stattgefunden habe. Es gab nicht einmal einen IM-Vorlauf.
Eine weitere Entlastung kam kurz darauf von völlig unerwarteter Seite. Ein höherer Stasi-Offizier aus Rostock bat Geiger um ein konspiratives Treffen am Stadtrand von Berlin: »Ich werde einen schwarzen Anorak mit roter Paspelierung tragen.« Geiger antwortete, er werde in einem Porsche mit Münchner Kennzeichen kommen. Im Gespräch am verabredeten Samstagmorgen um 7 Uhr erklärte der Stasi-Offizier, er habe damals zwar keinerlei Sympathien für Gauck gehabt, aber ein IM - nein, das sei Gauck niemals gewesen. So viel Wahrheit musste sein.
Dennoch tauchte das Gerücht wenige Jahre später noch einmal auf, drang wieder bis zum Innenminister vor, der inzwischen Manfred Kanther hieß und mit dem Fall nicht vertraut war. Der Personalchef des Innenministeriums machte sich auf den Weg nach Rostock, der Generalstaatsanwalt aus Mecklenburg begann mit Vorermittlungen, und der ehemalige DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel behauptete im Januar 1994 im Neuen Deutschland , über mich existiere ein IM-Vorlauf. Glücklicherweise lebten wir inzwischen in einem Rechtsstaat. Beim Landgericht
Berlin erwirkte ich eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung: Diestel und das Neue Deutschland durften mich nicht mehr als IM bezeichnen; die Entscheidung wurde vom Kammergericht Berlin bestätigt. Diestel gab zwar nicht auf und erkärte mich nun zum »Begünstigten der Staatssicherheit«, doch nach zwei Instanzen gelang es, eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Diestel unterschrieb eine Ehrenerklärung, die mich voll zufriedenstellte. Das Gericht legte ihm, dem mutmaßlichen Verlierer, die Kosten des Verfahrens auf.
Nicht überrascht haben mich die Angriffe, Widerstände und Lügen aus dem postkommunistischen Lager.
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