Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
das verrückte Phänomen konstatieren, dass sich die Empörung der Betroffenen gegen die Behörde richtete und wir die Schelte bekamen, obwohl wir nur die Überbringer der bösen Nachricht waren.
Als Beispiel für einen solchen Fall sei hier der Konflikt um den Theologieprofessor und Rektor der Humboldt-Universität Heinrich Fink 1991 angeführt. Im Zuge einer Überprüfung aller Universitätsangestellten hatte sich bei Fink ein IM-Verdacht ergeben, der sich zunächst auf relativ wenig Unterlagen stützte. Ersichtlich war, dass IM Heiner beim Kirchentag 1987 konspirativ ein Lagezentrum der Staatssicherheit angerufen und die Verdienstmedaille in Gold der Nationalen Volksarmee erhalten hatte. Ersichtlich war ebenfalls, dass sein Vorgang fünf Bände umfasst haben musste. Die Akte selbst war nicht mehr vorhanden. Fink wurde entlassen, klagte dagegen, aber bis zum Bundesgerichtshof wurde unsere Einschätzung bestätigt, dass Fink wissentlich für das MfS gearbeitet habe. Im Laufe der Zeit wurde unsere Einschätzung schließlich auch durch weitere Aktenfunde bestätigt.
Für die PDS und die Studenten der Humboldt-Universität war Fink jedoch ein Gejagter und ein Opfer. Für manche wurde er zu einer Identifikationsfigur des Ostens gegen den Westen und zum Vorkämpfer der Entrechteten. »Unser’n Heiner nimmt uns keiner!«, skandierten die Studenten, die eines Tages vor unsere Behörde in die Behrenstraße zogen; die Straße war bis Unter den Linden schwarz von Menschen. Da ich nicht da war, stellte sich Herr Geiger den äußerst aggressiven Demonstranten und versprach über einen Lautsprecherwagen der Polizei, dass wir uns in der Humboldt-Universität in Kürze einer Diskussion stellen würden.
Mir kam eine derartige Diskussion geradezu gelegen. Wo waren diese Studenten, die für Fink auf die Straße zogen, 1989 gewesen? Hatten sich die meisten bei der Revolution nicht auf eine peinliche Weise zurückgehalten? Waren sie im DDR-System nicht zu einer hohen Anpassungsleistung bereit gewesen, um in ihrem
Fach studieren zu dürfen? Und die alten Hochschullehrer: War eine Reihe von Lehrstühlen nicht mit Leuten besetzt, die in ihre Führungsrollen keineswegs durch ihr Können, sondern durch die Kaderpolitik der SED gebracht worden waren? Statt kritisch die eigenen Biographien zu prüfen, warfen sie nun westdeutschen Bildungs-und Hochschulpolitikern vor, dass sie wie Kolonialherren auftreten würden.
Nie vorher und nie nachher hat uns die Polizei einen Begleitschutz geschickt, darunter eine große, durchtrainierte Frau in Stöckelschuhen - ihrer Waffe für den Notfall, wie sie uns lachend erklärte, wobei sie zur Demonstration einen Schuh kraftvoll durch die Luft schwenkte. Eine Behörde, die zum Symbol offener Aufarbeitung geworden war, hervorgegangen aus einer demokratischen Bewegung und beauftragt mit der Aufdeckung der Unterdrückungsmechanismen derer, die uns nie informiert haben, wurde von der Mehrheit der im Auditorium Maximum Versammelten bekämpft als Feindin des Volkes. Der Saal war überfüllt, die Stimmung aufgeheizt. Bis heute erinnere ich mich an den Satz, mit dem ich das Publikum in aufklärerischer Verve begrüßte: »Gelassen und voller Freude erwarte ich die Proteste einer PDS-gesteuerten Hochschulöffentlichkeit.« Und ich ballte die Faust. Buuh!!
Natürlich waren längst nicht alle von der PDS gesteuert. Einige waren einfach verwirrt. Ein Student, »praktizierender Katholik« und 1989 Teil der Bürgerbewegung, schrieb mir hinterher einen vier Seiten langen Brief. Er fühlte sich - wahrscheinlich zu Recht - verletzt. Aber der Protest der Mehrheit erschien mir schrecklich altmodisch, um nicht zu sagen reaktionär. Er erinnerte mich an die Haltung der westdeutschen Gesellschaft in den fünfziger Jahren, als Konrad Adenauer, gestützt auf die Mehrheit der Westdeutschen, aus den NS-Verstrickungen seines engen Beraters Hans Globke keine Konsequenzen ziehen wollte.
An Fink konnte sich der Widerstand gegen die Aufarbeitung besonders gut festmachen: Er war nicht SED-Mitglied gewesen, schien also nicht ideologisch borniert oder belastet; er war Theologe, schien also von lauteren Motiven bestimmt. Außerdem war
er ein »Ossi«, den es zu schützen galt gegen die »Wessis«, die das Stasi-Thema angeblich benutzten, um Konkurrenten zu verdrängen. Nur engagierte Christen wussten, dass Fink in der DDR eine peinliche Systemnähe praktiziert hatte; unkundige Intellektuelle in Ost-und Westdeutschland sicherten ihm
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