Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
seines MfS-Führungsoffiziers Klaus Roßberg empfangen hat (so Roßbergs Version, dann wäre es eine Auszeichnung der Stasi), widersprechen sich Stolpe und Roßberg bis heute. Für uns war Stolpes Version unglaubwürdig, da sein Deckname in einer Auszeichnungsliste des MfS auftaucht.
Es sei unerlässlich gewesen, hat Stolpe mehrfach betont, mit dem MfS zu reden, wenn man etwas erreichen wollte. Das Argument ist wenig überzeugend. Warum soll jemand mit der Staatssicherheit reden, der sich als offizieller Vertreter der Kirche mit den politischen Chefs der Geheimpolizei treffen kann? Wenn man zum Schmied gehen kann, geht man nicht zu Schmiedel. Warum also ließen sich Menschen wie er auf vertrauliche Kontakte zum MfS ein? Müssten nicht gerade kirchliche Führunsgkräfte, Intellektuelle oder Wissenschaftler von einer derartigen Zusammenarbeit am meisten abgestoßen sein?
Wolf Biermann hat einmal geschrieben: Die Staatssicherheit sei zu dumm gewesen. Statt ihn zu verfolgen, hätte sie ihn bei
seiner Eitelkeit packen, ihm Komplimente machen sollen: Du bist intelligent, einsichtsvoll, den anderen überlegen. Sie hätte ihn verführen können, indem sie ihm das Gefühl einer besonderen Wichtigkeit vermittelt, ihn narzisstisch aufgewertet hätte. Denn wer den Kontakt zur Staatssicherheit akzeptierte, erfuhr einen Zugewinn an Bedeutung. Ich bin vielleicht nur ein kleiner Künstler am Theater, aber wenn ihr wüsstet, was ich hinter den Kulissen bewirken kann! Oder: Ich bin ein Arzt an einer Klinik, ein Genosse, der unter seinen Kollegen nicht beliebt ist, aber durch meine Beziehungen zur Staatssicherheit kann ich eine Situation schaffen, in der bei kaderpolitischen Entscheidungen nichts an mir vorbeigeht. Oder: Ich bin Chefjurist in der Kirche, sehe die Probleme von Partei und Staat auf höchster Ebene, und wenn jemand wie ich mit denen redet, kann ich zur Verbesserung der Beziehungen Staat - Kirche beitragen.
Unangenehme Dienstpflichten im Jahr 1992: Ich bin mit zwei Aktenkoffern zum Untersuchungsausschuss im Fall Manfred Stolpe nach Potsdam gefahren. Ich würde das Ergebnis sorgfältiger Recherchen vortragen und erfahren, dass man damit zwischen alle Stühle geraten kann - manchmal für einen unabhängigen Beauftragten nicht der schlechteste Platz.
Die meisten intellektuellen IM waren ihren Führungsoffizieren
geistig überlegen. So verfielen sie leicht dem Irrtum, sie könnten das Gesetz des Handelns bestimmen. Ich habe dieses Phänomen als das Drama des begabten Mannes bezeichnet, ausdrücklich des Mannes , denn neunzig Prozent der IM waren männlich.
Als Stolpe seine Bischöfe und die Kirchenleitung nicht darüber unterrichtete, dass er mit dem MfS verhandelte, habe er eine Dienstpflichtverletzung und einen Vertrauensbruch begangen. Das stellte - allerdings erst Jahre später - der Prüfungsausschuss der Evangelischen Kirche fest. Er hat Vertrauensbruch begangen, falls er sich gegenüber der Staatssicherheit und staatlichen Stellen von seinen bischöflichen Vorgesetzten distanzierte, falls er abwertende Bemerkungen über sie machte und auch wenn er dem Staat das Vorgehen gegen einige Oppositionelle erleichterte, indem er in kirchlichen Gremien darauf hinwirkte, dass ihnen kein kirchlicher Schutz gewährt wurde.
Ich habe Stolpe einmal in einer Runde von Kirchentagsverantwortlichen vorgehalten, dass er der Staatssicherheit gegenüber eine größere Offenheit zeigte als gegenüber seinen Brüdern und Schwestern im Präsidium des DDR-Kirchentages. Und was ist davon zu halten, wenn er zeitnah seinem Führungsoffizier von der dreitägigen Sitzung in Bad Saarow berichtete, auf der sich die Kirchenleitung im März 1978 auf das Spitzentreffen mit Staatsund Parteichef Erich Honecker vorbereitete? Dadurch verschaffte er der staatlichen Seite einen Handlungsvorteil - sie wusste genau, was sie zu erwarten hatte.
Außerdem fragt man sich, wie weit jemand nach Jahren vertraulicher Gespräche mit der Stasi deren Gedanken und Haltungen verinnerlicht hat und dadurch vielleicht maßvoll, aber doch zielgerichtet die Rolle der Opposition zu begrenzen und zu minimieren bereit ist.
Ob sich durch Stolpes Status einer Persona grata für die Kirche wirklich etwas verbessert hat, wissen wir nicht. Von den acht Kirchenvertretern, die Stolpe als »Mitstreiter« in der Beweisaufnahme des Potsdamer Untersuchungsausschusses angab, waren sechs selbst als IM registriert und zum Teil deutlich belastet.
Selbstverständlich musste die Kirche
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