Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
als Repräsentant der ostdeutschen Demokratiebewegung. Ich sprach von der Ermächtigung der Bürger, von der Freiheit vor der Einheit und vom Erwachen nach der Euphorie des Durchbruchs: »Wir haben vom Paradies geträumt und wachten auf in Nordrhein-Westfalen.« Das Protokoll verzeichnete Heiterkeit im Plenum.
Der Diskurs wurde antikapitalistisch, der utopische Sozialismus zum visionären Ziel. Die freiheitlich demokratische Grundordnung, kurz FDGO, wurde der Kritik unterzogen und als kapitalistisch gebrandmarkt. Kritische Theorien zur Entlarvung der östlichen Diktatur konnten sich nicht durchsetzen. Kamen sie von konservativer Seite, wurden sie, weil von der falschen Seite, von vornherein verworfen. Kamen sie aus antifaschistischer Grundhaltung wie früh von Eugen Kogon, wurden sie oberflächlich abgewertet. Und Verteidiger der persönlichen Freiheit wie Leszek Kołakowski hatten gegen die rechtgläubigen Türhüter eines institutionalisierten Marxismus keine Chance. Jürgen Habermas hatte den polnischen Philosophen, einen der wichtigsten Marxismus-Kenner weltweit, 1970 als Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Adorno vorgeschlagen, doch die linken Studenten und Assistenten lehnten den »Revisionisten« ab. Eine bornierte politische Posse.
Die Angst, als Antikommunist gebrandmarkt zu werden, untergrub den Einsatz für Menschen-und Bürgerrechte im real existierenden »linken« Totalitarismus in Ost-Mitteleuropa. Den Oppositionellen in Warschau, Prag, Budapest und Moskau wurde die Solidarität weitgehend verweigert-. Enttäuscht schrieb Václav Havel: »Ich erinnere mich noch, wie zu Beginn der siebziger Jahre einige meiner westdeutschen Freunde und Kollegen mir auswichen aus Furcht, dass sie durch einen wie auch immer gearteten Kontakt zu mir, den die hiesige Regierung nicht gerade liebte, (…) die zerbrechlichen Fundamente der aufkeimenden Entspannung bedrohen könnten.« Und er fuhr fort: »Nicht ich war es, sondern sie, die freiwillig auf Freiheit verzichteten.«
Es war die Zeit der Entspannungspolitik. Statt die antikommunistische Opposition zu stützen, setzte die Politik in Westdeutschland auf ein gutes Verhältnis zu den kommunistischen Machthabern in dem Bestreben, sie zu einer »Liberalisierung von
oben« zu bewegen und den Status quo nicht zu gefährden. Noch 1985 verzichtete Willy Brandt bei einem Besuch in Warschau auf ein Treffen mit dem Nobelpreisträger Lech Wałęsa, was bei der polnischen Opposition bittere Enttäuschung hervorrief.
Dies alles einzuräumen fiel vielen Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten im Westen schwer. Sie wollten sich die DDR auch im Nachhinein noch schönreden als »kommode« Diktatur und die einstigen Gesprächspartner nicht desavouieren. Deutlich zeigte sich dies am Beispiel von Marion Gräfin Dönhoff und Egon Bahr, beide auf je eigene Weise mit großen Verdiensten, aber in der Frage der Aufarbeitung eigentümlich zeitgeistverhaftet.
Gräfin Dönhoff plädierte - 1994 wie schon 1950 - für die Taktik des »Deckel drauf«; Egon Bahr forderte gegen die Mehrheit in der SPD zum fünften Jahrestag der Einheit ein »Schlussgesetz«. In einem Spiegel -Interview lobte er Adenauer, der auf die Integration selbst so Belasteter wie den NS-Juristen Hans Globke gesetzt hatte. Eine verkehrte Welt! »Beiderseits soll das ewig vergessen und vergeben sein«, zitierte Gräfin Dönhoff die allgemeine Friedensamnestie des Westfälischen Friedens, »was seit Beginn dieser Unruhen wie und wo auch immer der einen oder der anderen Seite, hinüber und herüber, an Feindseligkeiten geschehen ist.« Und sie lobte die Polen wegen ihrer klugen Politik des Schlussstriches. Dabei hat gerade diese Politik zu jahrelangen erbitterten Auseinandersetzungen über die Vergangenheit geführt und dem Land 2005 einen massiven Rechtsruck beschert, weil das verschüttete Unrecht nach Aufdeckung rief.
Linke Juristen wie Uwe Wesel bemängelten damals auch die strafrechtliche Aufarbeitung kommunistischen Unrechts, weil diese gegen das Rückwirkungsverbot verstoße, die abendländische Tradition des nulla poena sine lege: Was in der DDR nicht illegal war, könne im vereinten Deutschland nicht bestraft werden. Ein Urteil könne nur gefällt werden nach einem Gesetz, das vor Begehen der Tat bestand. Im Prinzip hat es der Einigungsvertrag auch so vorgesehen; in den Fällen schwerster Kriminalität wie bei den Morden an Mauer und Stacheldraht bezog sich die deutsche
Rechtsprechung jedoch auf einen Ansatz, den
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