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Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Titel: Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Gauck
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Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, die Freiheit der Berufswahl, Versammlungsfreiheit, Forschungs-und Veröffentlichungsfreiheit. Wo ich jetzt lebe, gründen Menschen von sich aus Vereine, Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und Parteien und übernehmen Verantwortung in ihnen. Kritik, Diskurs und Dissens gelten als Normalfall der politischen Kultur und nicht als politisch-ideologische Diversion, Untergrundtätigkeit oder politische Straftat. Wo ich jetzt lebe, existiert die Herrschaft des Rechts, notfalls kann ich meine Rechte auch einklagen. Es gibt den freien Markt, aber auch ein soziales Netzwerk - wer bedürftig ist, erfährt Unterstützung. Und seit mehr als sechzig Jahren hat dieses Land kein anderes überfallen, es lebt mit allen Nachbarn in Frieden.«
    Ich hatte noch mehr Kostbarkeiten in meiner Schatzkammer, aber fürs Erste sollte es reichen. Der Glanz der schönen Dinge, die wir eben beide gesehen hatten, war plötzlich nicht nur in meinen, sondern auch in den Augen meines Gegenübers. Sie erzählten
stärker, als seine Worte es vermochten, von der Bewegung in seinem Innern.
    »Ich habe eben immerfort ja gesagt, ja, ja.«
    Alles hatte er schon gewusst. Aber wie so viele im Westen hatte er die alltäglichen Unzulänglichkeiten, Mängel und Fehler der Freiheit als bedeutsamer empfunden als ihre Vorzüge. So wie zu DDR-Zeiten die Inselbewohner von Rügen sich erst von Besuchern aus Leipzig, Borna und Bitterfeld vor Augen führen lassen mussten, welch außergewöhnliche Luft sie atmeten, so war ihm erst in meiner Spiegelung das, was ihm seit Kindesbeinen vertraut war, anders, tief und hoch emotional erneut begegnet. Er lächelte. Nun konnte er glauben, was er wusste.
    Ich kannte aus zahllosen Gesprächen der letzten Jahre die Diskrepanz des Erlebens zwischen mir, dem im Kern ostdeutsch Geprägten, und meinen Freunden und Bekannten aus Westdeutschland; ich kannte den mitleidigen Blick jener, die meine beständige Freude an der westlichen Freiheit für naiv hielten, irgendwie rührend. Hundertmal hatte ich diesen Kultur-trifft-Natur-Blick von Ethnologen oder Feuilleton-Artisten aushalten müssen, die mich anschauten, als wäre ich gerade aus einer primitiven Kultur zugewandert.
    Doch ich wollte und will mir jene warme und tiefe Zuneigung zur Freiheit erhalten, die wohl nur versteht, wer sich lange und intensiv nach ihr gesehnt hat und in ihr magnetisches Feld geraten ist. Dadurch konnte er zwar äußerlich in Bedrohung oder gar Verfolgung geraten, innerlich aber gewann er Kraft daraus - damals. Ich vertraue ihrer verändernden Kraft, auch wenn sie angesichts so vieler und so komplexer Herausforderungen in der modernen, globalisierten Welt manchmal verloren zu gehen scheint. Ich habe ihre tiefgreifende, zur Selbstverwirk lichung befähigende Dimension selbst erfahren; noch allzu gut erinnere ich mich an die Ohnmacht, die uns umhüllte, als sie uns fehlte. Und so werde ich genau wie viele andere aus dem Osten Europas die Freiheit wohl ebenso lange in hohen Tönen loben, wie ich die Spätfolgen der Unfreiheit in mir spüre.

    Ich weiß noch, wie die Enteignung der »Kapitalisten« die Hoffnungen der Armen auf mehr Gerechtigkeit beflügeln sollte, dann aber waren wir sehr schnell mit einer Realität konfrontiert, in der es zwar keine neue Gerechtigkeit gab, wohl aber ein altes Spiel neu inszeniert wurde, in dem die Macht der Wenigen über die Ohnmacht aller anderen triumphierte.
    Ich weiß noch, wie der von Marx inspirierten »Expropriation der Expropriateure« die von Lenin inspirierte Enteignung aller folgte. Am Ende war die in Jahrhunderten gewachsene Struktur privater Kleinbetriebe und Mittelstandsunternehmen in Sachsen und Thüringen verschwunden, waren die bäuerlichen Höfe gegen den Willen der Betroffenen in große Produktionseinheiten umgewandelt. Aus eigenständigen Unternehmern und Bauern waren abhängige Betriebsangehörige und Landarbeiter geworden. Und die Arbeiter hatte ausgerechnet die »Arbeiterpartei« ihrer freien Gewerkschaften beraubt und zu Agenturen der Staatsmacht umfunktioniert. Ohne politische Rechte und ohne freie Wirtschaft waren persönliches Engagement, Fähigkeit zur Verantwortung, unternehmerische Initiative und Innovationsgeist dann verschwunden. Eine auf den ersten Blick ökonomische Entmächtigung hatte eine kulturelle und politische nach sich gezogen.
    »Ruinen schaffen ohne Waffen«, so hatten wir in DDR-Zeiten die Verwüstung der historischen Altstädte mit Galgenhumor

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