Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
dem Ruf der Ostkirche und kehrte in seine alte Heimat zurück. 1956 promovierte er an der Universität Rostock, arbeitete als Gemeindepastor erst im Dorf Warnkenhagen bei Güstrow, von 1962 an in Neubaugebieten in Rostock, dann wurde er zum Landesbischof von Mecklenburg gewählt. 1984 wechselte er als erster Bischof in den einfachen Pfarrdienst.
Ganz leicht dürfte Rathke der Wechsel von West nach Ost 1953 nicht gefallen sein. In seinem Heimatort Malchow war beim Einmarsch der Sowjets ein Drittel der Jugendlichen erschossen worden. Das lastete auf ihm. Der Sozialismus, wie auch die SED ihn praktizierte, war für ihn nicht akzeptabel. Er versuchte sich irgendwo zwischen den Polen einzuordnen, die in der Evangelischen Kirche der fünfziger Jahre von dem prinzipiellen Antikommunismus eines Otto Dibelius bis zu der pro-sozialistischen Haltung eines Karl Barth reichten.
Der konservative Otto Dibelius, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), verurteilte das DDR-System in seiner Schrift über die Obrigkeit in Bausch und Bogen
als totalitären Unrechtsstaat, in dem es - so in einem Brief an den Hannoverschen Landesbischof Hanns Lilje - nicht einmal Gehorsam gegenüber Verkehrsschildern zu leisten gelte. Karl Barth hingegen, der große »Kirchenvater des 20. Jahrhunderts«, zeigte in seinem »Brief an einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik« Verständnis für die Hoffnung auf eine Besserung der sozialistischen Verhältnisse in der DDR, wenngleich er hinzufügte, dass sich diese Hoffnung - im Gegensatz zur Hoffnung auf Gott - auch als Irrtum herausstellen könne.
Rathke ging weder den einen noch den anderen Weg. Er mied die Systemnähe, ohne in die Verweigerung zu verfallen. Er distanzierte sich einerseits von dem durch weitgehende Loyalität gegenüber dem Staat gekennzeichneten »thüringischen« Weg, wie ihn der dortige Landesbischof Moritz Mitzenheim geprägt hatte. Andererseits verweigerte er dem Staat nicht seine Anerkennung, sondern sah die DDR-staatliche Obrigkeit als Ausgangspunkt staatsbürgerlichen Handelns, das selbstverständlich Kritik und Protest einschloss. Rathke war ganz sicher kein Fundamentalist, und er war ganz sicher kein Opportunist. Ihn kennzeichnete die Lauterkeit - eine Form des Realismus, der sich auf Kompromisse einlassen konnte, ohne sich zu verkaufen. Es gab für ihn eine Möglichkeit, in der DDR zu existieren, ohne sich vollständig mit diesem Staat zu identifizieren. Zwischen Verweigerung und Anpassung den Weg für eine unabhängige und selbstständige Kirchenarbeit zu finden, blieb allerdings ein schwieriges Unterfangen in all den Jahren der DDR.
Als 1969 die gesamtdeutsche Einheit der EKD aufgegeben und auf dem Gebiet der DDR der Bund der Evangelischen Kirchen gegründet wurde, war dies nicht nur ein Zurückweichen vor der SED, die in der neuen Verfassung alle grenzüberschreitenden Organisationen für illegal erklärt hatte und die EKD-West als »NATO-Kirche« verunglimpfte. Im berühmten Artikel 4, Absatz 4, ihrer Ordnung hielten die Landeskirchen Ost ausdrücklich an der geistlichen Gemeinschaft aller Christen in Deutschland fest. Die organisatorische Trennung gab uns aber die Möglichkeit, den
spezifischen Bedingungen einer Minderheitenkirche im Sozialismus besser Rechnung zu tragen als zuvor. Wir hofften, der Staat würde uns nicht länger als fünfte Kolonne des Westens ansehen, und begannen beispielsweise für Rundfunkandachten oder Seelsorge im Strafvollzug zu kämpfen, was für die Kirche im Westen selbstverständlich war. Andererseits mussten wir uns nicht für den Militärseelsorgevertrag verantworten, der nur im Westen Deutschlands Geltung besaß.
Heinrich Rathke brachte mit seinem Amtsantritt als Landesbischof einen frischen Wind und eine optimistische Stimmung in die Landeskirche. Er strahlte die Gewissheit aus, dass wir uns auch als Minderheitenkirche nach außen nicht abschotten müssten, wenn wir uns innen stark machten, und dass wir nicht nur darauf bedacht sein sollten, die alten Gemeindemitglieder zu halten, sondern neue zu gewinnen. Die Jugendarbeit hat für ihn daher immer eine große Rolle gespielt. Kirche sollte sich nach seinem Verständnis auch an die Nicht-Christen wenden und eine werbende Kraft entfalten.
Mit diesem Denken stand Rathke in der Tradition des evangelischen, sehr eigenständigen Theologen Dietrich Bonhoeffer, einem Mitglied der Bekennenden Kirche, der 1943 verhaftet und wenige Tage vor Kriegsende
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