Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
und Themenbereiche erwähnt, an die sich nur wenige Kirchenoberen herantrauten. Damals bin ich über die Jugendarbeit hinaus bekannt geworden, jedenfalls im Norden. Mit einem zugespitzten Satz landete ich sogar in den Hauptnachrichten von ARD und ZDF. Ich hatte den DDR-Oberen zugerufen: »Wir werden bleiben wollen, wenn wir gehen dürfen!«
Es war das Jahr vor dem unerwarteten Ende der DDR. Wohl gab es Unruhe in den Milieus der Jugendlichen, wohl hatten die Christen durch den ökumenischen Prozess »Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung« seit Anfang 1988 mehr und deutlicher Kritik am eigenen System zu äußern gewagt. Aber noch verhinderte ein Angst-Anpassungssyndrom, das sich über Jahrzehnte herausgebildet hatte, massenhafte Aktionen. Kirchentage,
manchmal auch Rockkonzerte, waren in dieser Zeit geradezu überfrachtet mit Sehnsucht, Hoffnung auf Offenheit, Hoffnung auf »etwas Neues«.
Viele wollten nicht viel wagen, aber sie wollten doch zeigen, dass sie einen Traum von einem anderen Leben hatten. Untergründig wandelte sich die Sehnsucht nach Freiheit schon in ein Bedürfnis nach Freiheit. In dieser Situation sollten Gottes Wort und die Erwartungen der Menschen zusammenkommen. In meiner Predigt habe ich versucht, diese Gefühle, Ängste und Wünsche in Worte zu fassen:
Polarnacht liegt oft Jahrzehnte über ganzen Völkern und Bevölkerungsgruppen - Seele und Herz unzähliger Menschen in Eiszeit! Ungleichmäßig sind die Licht-und Klimazonen über die Erdkugel verteilt, Fülle und Mangel im Leben der Menschheit desgleichen.Vor dem Licht ist die Nacht. Aber in der Tiefe der Nacht wird für den, der wachen muss, die Sehnsucht nach Licht am heftigsten. Man kann diese Sehnsucht am Morgen schnell vergessen. Ob das gut ist?
Licht lässt uns sehen - auch die Dinge, die in uns geschehen. Vielleicht so: Ich nehme das Dunkel ernst, ich halte diese Sehnsucht am Leben, schlucke sie nicht herunter. Denn ich muss aushalten, was quält, sonst entdecke ich die Sehnsucht nicht. Und ich will mich sehnen, sonst finde ich die Hoffnung nicht.
Hoffnung wächst nicht aus HABEN, sie wächst aus Sehnsucht nach SEIN.
Wenn sie echt ist, riskiert sie etwas. Nicht Idylle, sondern Veränderung umgibt sie. Eine Schwester von ihr heißt Unruhe. Bitte erschrecken wir nicht, sondern bedenken wir, wohin uns die Ruhe gegenüber allem Unrecht geführt hat! Die etablierte Christen-und Bürgergemeinschaft muss wohl lernen, ihren Unruhestiftern zu danken. Sie lehren uns: Finde dich nicht ab mit dem, was du vorfindest …
Was für den einzelnen Menschen gilt, gilt auch für die Gesellschaft:
erkennen und benennen, was ungut ist, und dann anfangen, auf eine neue Art zu leben. Das wünschen wir uns so sehr: ein neues Miteinander in unserer Gesellschaft - Abrüstung und Entspannung als tragende Säulen eines neuen innergesellschaftlichen Dialogs! Was außenpolitisch mehr und mehr gilt - Abrüstung -, will und muss mehr und mehr in das Innere dieses Landes! …
So viele Abgründe warten auf Brücken, die engagierte Menschen bauen:
• Die Natur will bewahrt, nicht ausgebeutet sein.
• Aus unseren Wäldern soll das Teufelszeug der Raketen verschwinden.
• Aus unseren Schulen sollen die Schwarz-Weiß-Klischees verabschiedet werden.
• Unsere Republik will einladender werden - wir werden bleiben wollen, wenn wir gehen dürfen.
• Ausbeutung, Apartheid und Unterdrückung warten auf den Hass der Liebenden, die Opfer jeder Gesellschaft auf die Nähe von Genossen und Geschwistern, die diesen Namen verdienen.
Nehmen wir Abschied, Freunde, vom Schattendasein, das wir leben in den Tarnanzügen der Anpassung. Also: Die Brücke betreten in das Leben, das wir bei Jesus Christus lernen können!
Kirche im Sozialismus?
W er sich im zweiten Jahrzehnt der DDR auf einen Dienst in der Kirche vorbereitete, fand in seiner Nähe immer einen hoch motivierten, starken Pastor oder Diakon. In unserer Landeskirche gehörte Heinrich Rathke für uns Jüngere in theologischer und theologisch-politischer Hinsicht zu unseren Vorbildern. 1928 in eine mecklenburgische Pfarrersfamilie geboren, war er noch 1944 Marinehelfer geworden und in englische Kriegsgefangenschaft geraten. Nach dem Krieg hatte er sein Abitur in Lübeck abgelegt und an westdeutschen Universitäten Theologie studiert. Danach war er nach Bayern gegangen und hatte dort geheiratet. Er war im Westen angekommen. Doch nach dem 17. Juni 1953 folgte er in einer Gruppe von etwa hundert Theologen
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