Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
Brief einen Einschnitt in meinem Leben bilden würde. Meine Mutter wurde zum Direktor gerufen: Ihr Sohn habe erklärt, dass der demokratische Zentralismus keine Demokratie sei, stattdessen befürworte er bürgerliche Demokratieformen. Insofern sei Thomas ein Gegner der DDR. Er würde auf keinen Fall zum Abitur zugelassen.
Seitdem hatte ich in der Schule nicht mehr viel zu verlieren. Es ging nur noch darum, wie weit ich gehen könnte, ohne
im Knast zu landen. Bei der zweiten Friedensdekade der Kirche im November 1981 besorgte ich mir eine große Anzahl der auf Vlies gedruckten Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen« und verteilte sie innerhalb der Jungen Gemeinde. Mindestens zwanzig, dreißig Schüler hatten den Mut, eines Tages mit deutlich sichtbaren Emblemen auf ihren Parkas in der Schule zu erscheinen - doch nach dem Unterricht waren sie abgetrennt.
Als Täter hatten wir sofort St. und Sch. im Verdacht, zwei Schüler aus Jahrgängen über uns, die für alle die Stasi repräsentierten. Das waren die Ober-»Bobis«, Berufsoffizierbewerber, die Druck auf die angehenden Abiturienten ausübten, damit sie sich für mindestens drei Jahre bei der NVA verpflichteten. Wir hatten sie während der Unterrichtsstunden auf den Fluren herumlaufen sehen. Später haben sie ihre Aktion selbst zugegeben.
Danach haben nur wir drei einen neuen Aufnäher an unserer Kleidung angebracht. Eine Zeit der Zermürbung begann.
Gespräch beim Direktor am 16. März 1982: Die Wehrpolitik, so protokollierte ich seine Belehrung in meinem Tagebuch, sei Teil der Staatspolitik. Laut Verfassung hätte ich mich an die Staatspolitik zu halten. Entweder würde ich den Aufnäher abnehmen oder ich käme an eine andere Schule.
Gespräch mit dem Direkter und der Verantwortlichen aus der Abteilung Volksbildung beim Rat der Stadt am 24. März 1982: Jedes Emblem bedürfe der staatlichen Genehmigung. Diese läge im Fall des Aufnähers »Schwerter zu Pflugscharen« nicht vor.
Ich: »Um welche Bestimmung handelt es sich denn?«
Frau P.: »Die kann ich Ihnen nicht nennen.«
Direktor: »Man muss sich an die Schulordnung halten. Sollten Sie morgen immer noch mit Aufnäher erscheinen, werden weitere Maßnahmen eingeleitet.«
Am 25. März erschien der Direktor in meiner Klasse: In der letzten Zeit habe der Imperialismus versucht, die westliche Friedensbewegung auf das Territorium der DDR zu übertragen.
Es sei das Anliegen der Schule, die Schüler zu Humanismus und Frieden zu erziehen. Pazifistische Tendenzen würden nicht einfach hingenommen. Zudem seien Embleme genehmigungspflichtig. Es liege ein Verstoß gegen die Schulordnung vor. »Wir werden dem oppositionellen Treiben nicht länger zusehen. Solche Leute müssen bestraft werden.« Erneut drohte er die Umschulung an.
Ich geriet an meine innere Grenze. Ich fürchtete nicht nur den Schulverweis, ich fürchtete Gefängnis. Ich gab auf.
Albrecht Stier, gedeckt von seinem Vater, dem späteren mecklenburgischen Landesbischof, weigerte sich weiterhin, den Aufnäher abzunehmen. Er musste am 31. März 1982 von einem Tag auf den anderen die Schule wechseln. Ich durfte die zehnte Klasse noch an unserer Schule beenden, musste danach aber eine Lehre antreten.Vielen Lehrern war offensichtlich peinlich, was da passierte, aber es nützte uns nichts, denn außerhalb der Kirche hat sich niemand mit uns solidarisiert. Das war das Schlimme in der DDR: Wenn man den Mund aufmachte und gegen den Strom schwamm, bekam man wenig oder keine Unterstützung.
Im Frühjahr 1982 wurde das Tragen des Emblems »Schwerter zu Pflugscharen« in allen Bildungseinrichtungen verboten, es kam zu Schulverweisen, Ordnungsstrafverfahren und anderen Zwangsmaßnahmen. Zunächst versuchten die Kirchenleitungen noch, die Träger der Aufnäher vor Repressalien zu schützen; schließlich setzte sich eine Gruppe durch, die wegen dieses Konflikts nicht die Beziehungen zum Staat gefährden wollte. Es kam zu einer Entfremdung zwischen Friedensbewegung und Kirchenleitung. An der Basis waren bittere, enttäuschte Kommentare zu hören. Zu den wenigen, die sich aus der Kirchenleitung mit den Verfolgten solidarisierten, gehörten Bischof Forck aus Berlin sowie Bischof Rathke und sein Nachfolger Stier aus meiner Mecklenburger Landeskirche.
In unseren Friedensgottesdiensten schlossen wir die Betroffenen
regelmäßig in unsere Fürbitten ein. Ende September berichtete eine Schülerin (IM Susie Berger) der Stasi von zehn bis fünfzehn Fürbitten in meinem
Weitere Kostenlose Bücher