Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
sie äußerst sensibel auf die Mischung von Drill und ideologischer Ausrichtung in der Erziehung. Alle Rechenaufgaben, die zu Beispielen mit Panzern und Soldaten griffen, jeder Appell und jeder Aufmarsch erzeugten ohnmächtige Wut bei einer Mutter, die wie alle anderen keine Wahl hatte, auf welche Schule sie ihre Kinder schickte. Meine Frau hat Volksbildungsministerin Margot Honecker noch mehr gehasst als deren Mann, den Staatschef Erich Honecker. Als Katharina, unser 1979 geborener Nachkömmling, eingeschult werden sollte, hätte am liebsten auch sie einen Ausreiseantrag gestellt wie unsere Söhne Christian und Martin.
Katharina lebte in einem Land, in dem schon Kinder im Rahmen des alljährlichen Manövers »Schneeflocke« militärische Übungen durchführen mussten, in dem sie in den Kindergärten
mit Panzer spielten und ganz selbstverständlich vor Soldaten der Nationalen Volksarmee auftraten, etwa mit dem bekannten Lied, dessen dritte Strophe lautet:
Soldaten sind vorbeimarschiert
Die ganze Kompanie.
Und wenn wir groß sind, wollen wir
Soldat sein, so wie sie.
Gute Freunde, gute Freunde,
gute Freunde in der Volksarmee.
Sie schützen unsre Heimat
zu Land, zu Luft und auf der See,
juchhe!
Eines Tages wurden wir bei einem Besuch auf dem Lande Zeuge, wie unsere Tochter und die beiden Kinder des befreundeten Pastorenpaares an der Friedhofsmauer einen Wechselgesang aufführten, den sie in ihren Elternhäusern nie gehört hatten:
Zunächst die eine:
»Hans-Jürgen steht am Schilderhaus
und sagt zu dem Soldaten:
›Was tut ihr hier tagein, tagaus?
Kannst du es mir verraten?‹«
Darauf antwortete die andere:
»Ich bin Soldat der Volksarmee.
Ja, spiele nur und lache!
Ich stehe hier bei Wind und Schnee
und halte für dich Wache.«
Woher hatten sie das? Vielleicht schon aus der Vorschulerziehung, oder aus dem Bummi-Heft, das den Kleinsten ihre sozialistische Umwelt nahebrachte? Oder war der Text in der ersten Klasse behandelt worden? Die Kinder kannten ihn jedenfalls, wie sie
auch alle Pionierlieder singen konnten, obwohl sie nicht Mitglieder der Pionierorganisation waren. Sie waren wie alle anderen DDR-Kinder früh vertraut mit den Soldaten, doch anders als im Lied vermittelten deren Existenz und Kampfbereitschaft nicht immer das Gefühl von Sicherheit.
Katharina lebte in einem Land, in dem am Mittwochmittag die Sirenen heulten, jede Woche in jedem Ort. Diese Sirenen, so wurde den Kindern beigebracht, würden uns warnen, wenn der Krieg ausbräche. Die Klassenlehrerin hatte die Schrecken des Krieges ausgemalt, von Bombern und Bomben erzählt und auf die alte Kirche gleich gegenüber der Schule gezeigt, die noch immer ohne Turm war - Jahrzehnte nach der Bombardierung im Krieg. Alle müssten wachsam sein, hatte die Klassenlehrerin gesagt, denn noch immer seien wir bedroht vom bösen imperialistischen Westen, der uns den Sozialismus nicht gönne.
Meine Frau versuchte, der Kleinen die Angst auszureden. Doch wenn Katharina nach dem Abendgebet und dem Gute-Nacht-Kuss allein in ihrem Kinderbett lag, malte sie sich den Ernstfall aus. Die Bomber würden kommen, wenn sie schlief, die Bomben würden das Dach durchschlagen und ins Kinderzimmer fallen. Nur wenn es ihr gelänge, ganz dicht an die Wand gepresst einzuschlafen, könnte sie den Angriff vielleicht überleben, denn an der Wand bliebe das Bett vielleicht stehen und würde nicht in die Tiefe gerissen.
Als mir Katharina diese Geschichte als junge, schon erwachsene Frau erzählte - wahrscheinlich wieder erzählte, ich musste sie verdrängt haben -, schossen Wut und Erbitterung in mir hoch, als sei sie der schwarzen Pädagogik in rot noch immer ausgesetzt. Dabei lebten wir seit Jahren in neuen, demokratischen Zeiten ohne Militarismus und Einschüchterungspädagogik.
Damals hatte mich die militaristische Ausrichtung angewidert. »Die Kirche darf es nicht zulassen, dass in der Schule der Militarismus eingeführt wird«, soll ich nach Mitschrift der Stasi im Juli 1978 in der Sankt-Andreas-Kirche gesagt haben. Ich kündigte einen Brief an die Eltern meiner Konfirmanden an, in dem die
Eltern aufgefordert wurden, dem sozialistischen Wehrunterricht entgegenzutreten und ihre Kinder nicht in ein Wehrlager zu schicken.
Nach einer Gemeindeveranstaltung. Während die Erwachsenen aufräumen, schreibt meine jüngere Tochter Katharina (vielleicht sieben oder acht): Heute war es schön. Alle haben Kuchen gegessen … Alle freuen sich jetzt noch … Ich habe mit
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