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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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das Projekt mir gegenüber einmal erwähnt, aber ich hatte ihn nicht ernst genommen und auf jeden Fall nichts mehr davon gehört. Als Professor und Historiker hatte mein Vater ein Talent dafür, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen, aber er befasste sich auch mit Fakten. In seinen Büchern und Artikeln stellte er eine These auf und wies einen bestimmten Standpunkt nach. Warum sollte er sich jetzt mit Fiktion befassen? Was war ihm so wichtig, dass er den Drang verspürte, es niederzuschreiben, aber nicht in seiner gewohnten Weise? Ich nahm den Ordner in die Hand, entfernte die Büroklammer und blätterte zur ersten Seite.
    »Das Flugzeug setzte zur Landung an«, fängt die Geschichte an. Peter Ptachek, ad ein junger Diplomat, kehrt nach sechs Jahren in London nach Prag zurück. Er hatte dort die Rundfunksendungen der Exilregierung während des Krieges geleitet. Der unverheiratete Mann malt sich eine längst ersehnte Wiedervereinigung aus:
    Er wird leise durch den Garten schleichen und behutsam die Tür öffnen. Ganz vorsichtig, eine Fliese im Flur ist lose und klappert. … Da steht sie. Über den Ofen gebeugt.… Er bedeckt ihre Schläfen mit der Hand und … Aber vielleicht ist sie ja gar nicht zuhause. Sie ging eben etwas fürs Abendessen einkaufen. Vielleicht ist sie auf dem Land und [hat] einen Brief zurückgelassen. Er wird unter dem zweiten Glas von rechts im Küchenschrank liegen. So war es früher immer. 12
    Kaum ist er gelandet, nimmt Peter ein Taxi vom Flughafen zum Hotel Alcron, wo für heimkehrende Regierungsvertreter Zimmer reserviert wurden. Sein Weg führt ihn an der Burg und dem Dom vorbei, die steile Straße hinab, die nach Jan Neruda benannt ist, über die Brücke zum Wenzelsplatz. »Jahrhunderte sind vergangen und werden noch vergehen«, denkt Peter bei sich. Im Hotel wird er von der Frau an der Rezeption herzlich begrüßt, die vermutlich in den vergangenen sechs Jahren genauso höflich »Heil Hitler« wiederholt hatte. In der Eingangshalle schnappt er Gesprächsfetzen anderer Heimkehrer auf: »Ja, ich habe sie alle wiedergefunden« oder »Ich habe keinen Einzigen angetroffen«.
    Peter nimmt die Straßenbahnlinie 1. Nach dem Aussteigen geht er, dann rennt er zu der vertrauten Tür. Dahinter trifft er, statt seiner Mutter, eine Fremde an, die sagt, sie wohne jetzt seit drei Monaten hier, davor habe eine deutsche Familie hier gewohnt. Sie hat keine Informationen. Geschockt beschließt Peter, zum Haus der jüngeren Schwester seiner Mutter, Martha, zu gehen, die mit ihrem Mann Jan und zwei Kindern lebt. Während er geht, denkt er an die
vielen Freitagabende vor dem Krieg, als er gemeinsam mit Marthas Familie Kammermusik gespielt hatte. Er kommt an und klopft. Die Tür geht auf – wiederum kein vertrautes Gesicht, sondern ein Fremder:
    Peter stellt sich vor und fragt nach seinem Onkel.
    Ja, wir haben ihn sehr gut gekannt, antwortete der Mann. Wir waren gute Freunde von Jan und Martha. Wir haben auch deine Mutter gekannt, arme Seele.
    Was ist passiert? Wo ist sie? stieß Peter voller Angst hervor.
    Lieber Freund, wenn ich der erste bin, der es Ihnen sagt. Sie ist nicht mehr. Es geschah im Mai 1942. Sie nahmen sie mit, und zwei Wochen später bekam Jan eine Notiz darüber. Dann kamen Jan und Martha dran. Bevor sie sie holen kamen, bat Jan uns, in ihre Wohnung zu ziehen.
    Was wurde aus den Jungen?
    Herr im Himmel. Sie nahmen sie auch mit, zwei Tage später. Ich habe ein paar Fotos. Möchten Sie sie gerne sehen? Auch ein Bild von Ihrer Mutter.
    Nein, ich glaube, das will ich nicht. Nicht jetzt. Ich komme später wieder.
    Die Dunkelheit der Nacht verschlang Peters eingesunkene Gestalt. Schwere, langsame Schritte trugen ihn durch die Straßen und Plätze. Prag, seine Wiege, wurde für ihn auf einmal zu der fremdesten Stadt der Welt. Die Karlsbrücke führte ihn zum Ufer des Unbekannten. Als er sie überquerte, trat eine Frau, die unter der Christusstatue gestanden hatte, vor und fragte: Spendieren Sie mir’nen Drink, Schätzchen?
    Peter ging weiter und schaute auf den Fluss hinunter. Das Leben auf und unter der Brücke ging offensichtlich unverändert weiter, dachte er.
    Mitternacht war längst vorüber, als er im Hotel ankam. Er wankte zu seinem Zimmer. Angespannt und erschöpft fiel er aufs Bett. Sein Gesicht sank in das Grab des Kissens. »Gott gib mir einen, ich flehe dich an, gib mir wenigstens einen«,
schluchzte er. Steinerne Tränen fielen durch ein Loch im Kissenbezug. Der Krieg war

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