Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)
Sie waren auf dem Weg zur Pforte. Sie hatte eine Kerze, Garys Kamera, all seine Sachen. Alles, was jetzt noch fehlte, war …
»Mein Gott!«, kam plötzlich Candaces erschrockener Ausruf von vorn. Ein Stück neben dem Pfad fiel der Lichtkegel ihrer Stirnlampe auf eine schaurige Szene: Ein Fuchs hatte einen Schneeschuhhasen gefangen und ihn an der Kehle gepackt. Der Hase zappelte noch einen kurzen Moment, dann hing das weiße Tier still und schlaff in seinem Maul.
Candace zog ihre Pistole und zielte auf den Fuchs.
»Nicht!«, rief Katherine. Das Tier war so schön – sein rotes Fell glänzte, und seine Augen schienen sie direkt anzusehen, als wollten sie sagen: Wir kennen uns, du und ich. Wir zwei wissen, was Hunger ist. Verzweiflung.
Candace feuerte, und Katherine zuckte zusammen. Der Fuchs erschrak, ließ den Hasen fallen und floh zwischen die Bäume – Candace hatte danebengeschossen. Die Anmut und flinke Geschmeidigkeit seiner Bewegungen waren so schön, dass es Katherine schier den Atem raubte. Und sie war sich sicher, dass der Fuchs im Fliehen eine Sekunde lang seinen eleganten Kopf zu ihr umgedreht und sie angeschaut hatte.
Sieh nur, was ich dir dagelassen habe.
Alles fügte sich auf geradezu unfassbare Weise zusammen.
»Können wir das Kaninchen retten?«, fragte Fawn und trat zu dem kleinen weißen Tier, das reglos im Schnee lag.
»Nein«, erwiderte Ruthie. »Es ist tot. Fass es nicht an, okay?«
»Los, weiter, ich glaube, wir haben die Hälfte schon geschafft«, spornte Candace sie an. Sie steckte die Pistole ein und richtete die Stirnlampe wieder auf den Pfad, auf dem noch ihre eigenen, fast unter Neuschnee begrabenen Fußstapfen sichtbar waren, die sie hinterlassen hatte, als sie einige Zeit zuvor hier heruntergekommen war. Der Hang war inzwischen noch steiler geworden, so dass sie eher kletterten als gingen. Die Schneeschuhe machten jede Bewegung behäbig und mühsam. Vom Himmel schneite es dicke Flocken.
Katherine dachte an die Fotos von Bergsteigern auf dem Mount Everest, die sie einmal gesehen hatte. Sie waren mit einem Seil aneinandergebunden, damit keiner verloren ging, abstürzte oder zurückblieb. Immer weiter stapften sie. Candace hatte das Tempo angezogen, und die Mädchen bemühten sich, mit ihr Schritt zu halten. Katherine hingegen wurde langsamer und blieb an der Stelle stehen, wo sie den Fuchs gesehen hatten. Was für ein Glück, dass sie nicht mit einem Seil an die anderen gebunden war. Sie schienen gar nicht zu merken, dass sie sich hatte zurückfallen lassen. Sie bückte sich, zog den Handschuh aus und berührte den weißen Hasen. Er war noch warm, sein Fell seidenweich.
Rasch hob sie ihn auf, erstaunt darüber, wie leicht er war. Sie nahm Garys Rucksack von den Schultern, legte das Tier vorsichtig hinein und zog den Reißverschluss zu. Dann eilte sie den anderen nach. Ihr Herz hämmerte, das Blut rauschte in ihren Ohren.
Der Hase war klein, doch es konnte nicht allzu schwierig sein, seine Rippen zu ertasten, ihn aufzuschneiden und ihm das Herz herauszunehmen.
Ruthie
»Irgendwo hier muss es sein«, sagte Candace, während sie zwischen den Felsen am Fuße der Teufelshand herumkletterte.
»Ich kann nicht glauben, wie groß die Felsen sind«, bemerkte Katherine und blickte an ihnen empor. »Der höchste muss ja mindestens sieben Meter hoch sein. Auf den Fotos sehen sie viel kleiner aus.«
»Vielleicht ist der Teufel ein Riese«, warf Fawn ein, die immer noch die in Decken eingehüllte Mimi mit dem Revolver umklammert hielt.
Sie hatten für den Aufstieg fast eine Dreiviertelstunde gebraucht. Die letzten zehn Minuten hatte Candace damit zugebracht, wahllos an verschiedenen Stellen mit fast krampfartigen Bewegungen zu graben. »Die Öffnung könnte unter jedem der fünf Felsen sein«, meinte sie. »Sie sehen alle gleich aus. Na los, worauf wartet ihr noch? Fangt an zu graben!«
Der Schnee fiel stetig, und die Felsfinger trugen einen dicken weißen Handschuh. Candace scharrte am Fuße des größten Felsfingers mit den Händen den Schnee beiseite und räumte kleinere Steine weg.
»Lassen Sie mich mal.« Ruthie steckte ihre Taschenlampe in die Tasche ihres Parkas und griff nach der Kamera, deren Display Katherine angestrengt betrachtete. Ruthie sah, dass Katherine eins der Fotos von der Anleitung zum Erschaffen Schlafender studiert hatte. Sie klickte sich bis zu der Aufnahme von der Öffnung am Fuße des Felsens vor. Das Bild war im Oktober bei Tageslicht aufgenommen worden,
Weitere Kostenlose Bücher