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Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Titel: Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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hatte. Einer Schlange gleich wand er sich durchs dichte Gehölz. Der Tag erwärmte sich. Ich öffnete den obersten Knopf meines Mantels und blieb stehen, um ein wenig auszuruhen. Ich sah zu, wie sich unweit von mir ein kleiner Schwarm Fichtenkreuzschnäbel in den Zweigen einer Hemlocktanne niederließ. Die Tiere zwitscherten, während sie mit ihren drolligen, an den Spitzen gekreuzten Schnäbeln die Samen aus den Zapfen pickten.
    Ich setzte meinen Weg fort und gelangte endlich auf die Lichtung, die nun noch kleiner war als in meiner Erinnerung. Trotz der dicken Schneedecke und all der Jahre, in denen Bäume, Gestrüpp und Unkraut sich ungehindert hatten ausbreiten können, war noch immer der Umriss auszumachen, wo sich die verkohlten Überreste eines kleinen Hauses aus der Erde erhoben.
    Aunties Hütte.
    Einmal, kurz nach unserer Hochzeit, hatte Martin mir eine Frage zu Auntie gestellt. »Hat nicht eine Frau bei euch gelebt, als du noch jünger warst? Und ist ihr nicht irgendein Unglück zugestoßen – ist sie nicht ertrunken?«
    »Wo hast du denn das gehört?«, wollte ich von ihm wissen.
    »Von den Leuten im Ort. Mein Vater hat sie auch einmal erwähnt. Er sagte, sie habe draußen im Wald hinter eurem Haus gelebt. Die Frauen seien oft zu ihr gekommen, um Arzneien zu kaufen.«
    »Du warst selbst dort draußen im Wald, Martin. Es gibt dort keine Hütte«, beschied ich ihn und lächelte nachsichtig, als erheitere mich seine Leichtgläubigkeit. »Die Geschichten, die du gehört hast, sind bloß Geschichten. Die Leute in der Stadt lieben ihr Garn, das weißt du so gut wie ich. Es gab nur Vater, Constance, Jacob und mich. Es gab keine Frau im Wald.«
    Die Lüge blieb mir in der Kehle stecken und zappelte dort eine Weile, ehe ich sie herunterwürgen konnte.
    Es gab keine Frau im Wald.
    Als wäre es so einfach, Auntie aus meinem Leben zu tilgen.
    Martin hatte meine Antwort ohne weiteres Nachfragen akzeptiert und nie wieder etwas über Auntie wissen wollen.
    Mit dem Fuß grub ich im Schnee, von dem ich wusste, dass er die Asche ihres alten Zuhauses bedeckte. Ich erinnerte mich daran, dass sie ihre Haustür grün angestrichen hatte. Sie hatte erklärt, dass durch eine grüne Tür nur die guten Geister eintreten konnten. Als ließe sich das Böse so leicht in Schach halten.
    Es waren nicht nur die verbrannten Überreste von Holz und Nägeln, Kleidern, Töpfen und einem Bett, auf denen ich jetzt stand. Irgendwo unter den Trümmern lag Auntie. Wenn nach all den Jahren überhaupt noch etwas von ihr übrig war, nach den Tieren, den Krähen, dem endlosen Wechsel von Winter und Sommer. Gab es noch einen Schädel, eine Handvoll Zähne? Und was hoffte ich hier zu finden?
    Die Wahrheit war, dass ich den Hügel heraufgekommen war, weil ich hoffte, gar nichts zu finden. Denn ein Teil von mir fürchtete, dass Martin, als er Aunties alten Ring ausgrub, womöglich ihren Geist heraufbeschworen hatte. Und ich vermochte allenfalls zu ahnen, wie zornig, wie rachsüchtig ihr Geist sein konnte.
    Vielleicht sogar rachsüchtig genug, um ein kleines Mädchen in den Wald zu locken und es in einen Brunnen zu stoßen.
    Meine Mutter war wenige Stunden nach meiner Geburt gestorben. Auntie hatte mir als Hebamme auf die Welt geholfen, und kurz darauf half sie meiner Mutter, die Welt zu verlassen.
    Meine Schwester Constance war damals zwölf, mein Bruder Jacob acht. Später erzählten sie mir, dass unsere Mutter Auntie nicht gemocht habe, aber Vater darauf bestanden habe, ihre Hilfe anzunehmen.
    »Ich traue ihr nicht«, hatte Mutter Constance und Jacob gegenüber zugegeben.
    Vater hatte meinen älteren Geschwistern damals gesagt, dass Mutters Misstrauen unbegründet sei.
    »Eure Mutter«, erklärte er ihnen, »hat eine schwache Konstitution. Auntie hat schon vielen Frauen geholfen, gesunde Kinder auf die Welt zu bringen, und eurer Mutter wird sie auch helfen.« Vater fand, dass Mutter jede Hilfe brauchen konnte, nicht zuletzt, weil sie in relativ hohem Alter noch einmal schwanger geworden war – meine Mutter war bereits an die vierzig. Auntie braute ihr Tränke und Tees, die ihr Schwangerschaft und Wehen erleichtern sollten. Meine Mutter, vertraute mein Bruder Jacob mir einmal an, glaubte, Auntie wolle sie vergiften.
    »Bitte«, wandte sie sich an ihre Kinder. »Ihr müsst mir helfen. Diese Frau trachtet mir nach dem Leben.«
    »Aber warum sollte sie das tun, Mutter?«, fragte Constance. Sie teilte die Ansicht meines Vaters, dass die Schwangerschaft

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