Winterfest
der nächsten Hüttennachbarn von Thomas R ø nningen und der Mann, der ihnen den Leichenfund gemeldet hatte.
»Er hat den Artikel im Internet gesehen und glaubt, dass es sein Boot ist. Es lag vertäut an einem Holzsteg unterhalb der Hütte. Er hat nicht nachgesehen, ob es weg ist, aber er meint, es wiedererkannt zu haben.«
Wisting nahm einen Kugelschreiber, steckte ihn in den Mund und knabberte daran. »Das würde einen Sinn ergeben«, meinte er und sah vor sich, wie einer der Tatbeteiligten sich irgendein beliebiges Boot schnappte und in die Nacht hinaus flüchtete. Die Verletzungen, die er zuvor bereits erlitten hatte, sorgten dafür, dass er nicht mehr lebend an Land kam.
»Der Wind kam ja von Ost«, sagte Benjamin Fjeld. »Das passt gut zu unserem Fundort.«
Wisting nahm den Stift aus dem Mund und notierte einige Stichwörter zum eben Gehörten. »Gute Arbeit«, meinte er anerkennend. »Bleibst du dran?«
»Ja, wir haben immer noch Tatorttechniker dort draußen. Ich werde ihnen sagen, dass sie den Steg untersuchen sollen.« Benjamin Fjeld war schon halb aus dem Zimmer. »Und ich dachte, ich frage die Hundeführer, ob das zu ihren Ergebnissen passt.«
Wisting blieben zehn Minuten ungestörter Arbeit mit den Fallunterlagen, dann unterbrach das Telefon seine Konzentration.
Der Mann am anderen Ende begann das Gespräch mit einem tiefen Seufzer. »Anders Hoff-Hansen hier.«
Wisting erkannte den Namen und den forschen, etwas genervten Tonfall des Pathologen der Rechtsmedizin. »Seid ihr fertig mit der Obduktion?«, fragte er.
»Wir haben den Körper auf- und wieder zugemacht«, bestätigte der andere. »Aber irgendwas stimmt da nicht.«
»Was meinen Sie?«
»Ich habe die Tatortfotos studiert und die Berichte Ihres Tatorttechnikers gelesen, und wie ich die Sache sehe, haben wir eine andere Leiche obduziert als die, die darin beschrieben wird.«
Wisting spürte, wie es ihm eiskalt den Rücken hinunterlief. Er ließ den Pathologen weitersprechen.
»Die Leiche ist ja extrem verbrannt, Haut und darunter liegendes Gewebe sind verkohlt, aber ich finde keine Läsionen in der Bauchregion, wie es die Tatortfotos nahelegen. Dafür gibt es großflächige Gewebezerstörungen an Nacken und Hals. Dort liegt die Todesursache. Ein Projektil ist in den Bereich eingedrungen und hat den Körper durchschlagen.«
»Ein Genickschuss?«, fragte Wisting.
»Ganz eindeutig. Ich finde Eintrittsöffnung, Schusskanal und Austrittsöffnung, aber wie gesagt, das ist eine andere Leiche als die, die in euren Berichten beschrieben wird. Körpergröße und Gewicht passen auch nicht. Die Brandleiche war eine kleinere Person.«
»Wie ist das möglich?«, mehr brachte Wisting nicht heraus, obwohl ihm der Zusammenhang und die Erklärung längst aufgegangen waren.
»Daran hättet ihr natürlich früher denken müssen«, fuhr der Rechtsmediziner fort, »aber es besteht ja offensichtlich die Möglichkeit, dass wir den Fahrer obduziert haben und nicht die ursprüngliche Leiche.«
»Was machen wir jetzt?«, wollte Wisting wissen.
»Das liegt vor allem bei euch, aber wir haben Gewebeproben für die DNA entnommen und Röntgenbilder der Zahnstellung gemacht, es würde also naheliegen, Referenzproben und Zahnarztunterlagen des Fahrers zu besorgen. Darum kümmert sich ja wohl der Erkennungsdienst von Kripos.«
Das Telefonat wurde damit beendet, dass der Pathologe versprach, den vorläufigen Obduktionsbericht plus Zusammenfassung und Schlussfolgerung per Fax zu schicken. Wisting wartete nicht darauf, sondern ging hinüber zu Christine Thiis.
Die junge Polizeianwältin beendete gerade ein Telefongespräch, als Wisting ihr gegenüber Platz nahm. »Das mit den Fußspuren am Tatort tut mir leid«, sagte sie. »Das hätte ich besser für mich behalten sollen.«
Wisting winkte ab und erzählte von dem Gespräch mit dem Rechtsmediziner.
»Willst du damit sagen, jemand hat den Fahrer umgebracht und die Leiche ausgetauscht?«, fragte sie entgeistert. »Das würde ja bedeuten, wir haben drei Morde.«
Wisting bejahte. Er hatte so etwas noch nie gehört, fand aber keine andere Erklärung. Offenbar hatten sie es mit einem besonders berechnenden und gefährlichen Menschen zu tun.
Das passte gut zu dem Bild, das der Leiter der Sektion Nachrichtengewinnung der Osloer Polizei von Rudi Muller gezeichnet hatte. Zynisch, kalt und zielbewusst. Wisting spürte wieder einen eisigen Schauer im Nacken. Sie mussten die Zeit gut nutzen. Sie durften nicht den Kopf
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