Winterfest
verlieren. Die Angst durfte nicht die Überhand gewinnen.
26
Leif Malm war ein sportlicher Mann und hatte ein kräftiges Gesicht mit melancholischen Zügen. Er trug einen dunklen Blazer und ein helles Oberhemd mit gestärktem Kragen.
Sie waren ungefähr gleich alt. Wisting kannte Malm von einzelnen Fernseh- und Zeitungsinterviews, in denen er sich im Namen der Osloer Polizei äußerte.
Das Treffen bestätigte den Eindruck, den Wisting von einer autoritären Führungspersönlichkeit hatte. Kaum hatten sie am Konferenztisch Platz genommen, ergriff Leif Malm das Wort und machte sie mit dem Mann bekannt, den er mitgebracht hatte. Petter Eikelid war um die dreißig und für einen Polizisten relativ klein. Er kaute Kaugummi mit geschlossenem Mund und grüßte mit einem Kopfnicken, sodass ihm die dunklen Stirnhaare in die Augen fielen. Er wich Wistings Blick aus, seine Augen waren ruhelos.
»Wir spähen seit Langem ein Milieu aus, das verantwortlich ist für die Einfuhr verhältnismäßig großer Mengen Kokain nach Norwegen«, fuhr Malm fort. »Mit dem Plan, den die Männer jetzt verfolgen, haben wir Grund zu der Annahme, dass sie seit Mai fast hundert Kilo ins Land gebracht haben. Der Hauptakteur heißt Rudi Muller.«
Petter Eikelid öffnete wortlos die Dokumentenmappe, die er vor sich liegen hatte, und zog ein Fahndungsfoto heraus. Es zeigte einen mittelgroßen, untersetzten Mann Ende dreißig. Er trug ein helles Leinenhemd, dessen Kragen so weit geöffnet war, dass eine dicke goldene Halskette darunter sichtbar wurde. Er lächelte mit leicht hochgezogenen Mundwinkeln, der Rest des Gesichts war völlig ausdruckslos. Das schwarze, kräftige Haar war nach hinten gekämmt und die Art, wie er in die Sonne blinzelte, ließ Wisting an einen schläfrigen Panther oder eine andere schwarze, gefährliche Raubkatze denken, die zum falschen Zeitpunkt geweckt worden war.
»Hundert Kilo ist eine Menge Holz«, kommentierte Nils Hammer.
Leif Malm nickte. »Kokain hat einen Straßenverkaufswert, der je nach Reinheitsgrad variiert. Zwischen zweihundert und vierhundert Kronen pro Gramm gelten als Standardpreis.«
Wisting rechnete im Kopf nach. Hundert Kilo bedeuteten einen Umsatz zwischen zwanzig und vierzig Millionen.
»Das Geld wird in der Freizeitbranche gewaschen und in Restaurants, Bars und Immobilien reinvestiert«, fuhr Leif Malm fort. »Vor drei Wochen haben wir eine Quelle erschlossen, die sich im nahen Umfeld von Rudi Muller befindet, und wir haben Einblick bekommen, wie die Organisation funktioniert und operiert. Das Kokaingeschäft ist nur ein Teil des Unternehmens. Sie holen alle drei Wochen zehn Kilo ins Land. Die Partien werden von Kontakten geliefert, die Rudi Muller in Südeuropa unterhält, und kommen per Schiff über das Skagerrak aus Dänemark.«
»Das passt gut zu unserer Spanien-Spur«, sagte Hammer und berichtete kurz von dem Mobiltelefon, das im Umfeld des Tatorts gefunden worden war.
»So kennen wir die Operationen auch«, bestätigte Leif Malm. »Die Absprachen werden im Voraus getroffen, und wenn die Lieferung kommt, werden per Handy kurze Mitteilungen verschickt, die nicht zurückverfolgt werden können. Der Stoff wird an Land gebracht und das Bargeld zurückgeschafft.«
Wisting erkannte das Schmuggelmuster wieder. Auf diese Art hatte der Großteil des Haschisch den Weg ins Land gefunden, als er vor fast dreißig Jahren bei der Polizei angefangen hatte. Damals wurden Fischkutter benutzt, jetzt lief der Transport vermutlich mittels großer Schnellboote ab, die den Weg übers Meer in wenigen Stunden zurücklegen konnten.
»Am Freitag ist dann also irgendwas schiefgegangen«, warf er ein, um die Sache auf den Punkt zu bringen.
Leif Malm nickte mit zusammengepressten Lippen. »Petter Eikelid hatte am Vormittag ein Treffen mit der Quelle.«
Der junge Polizist hörte auf zu kauen. »Wir wissen eigentlich nicht, was schiefgegangen ist«, sagte er und ergriff zum ersten Mal das Wort. »Nur dass sowohl das Geld als auch der Stoff verschwunden und zwei Männer tot sind.«
Wisting sah Leif Malm an. »Sie haben am Telefon gesagt, dass Rudi Muller einen Mann verloren hat.«
Petter Eikelid antwortete für ihn: »Einer ist nicht mit dem Schiff nach Dänemark zurückgekehrt. Meine Quelle vermutet, dass der Mann, der heute Morgen in dem Ruderboot gefunden wurde, der fehlende Däne ist.«
»Ich komme nicht ganz mit«, räumte Christine Thiis ein. »Ist es so, dass zwei Männer mit zehn Kilo Kokain per Schiff aus
Weitere Kostenlose Bücher