Winterfest
dennoch niemand anderen ans Steuer.«
»Sie sind also der Einzige, der ihn fährt?«
Wisting bemerkte ein leichtes Muskelzucken in Thomas R ø nningens Gesicht. Das Lächeln verschwand und er wirkte unsicher.
Der TV-Moderator spielte eigentlich keine große Rolle mehr für die Ermittlung, dachte Wisting. Die Spuren deuteten alle in andere Richtungen. Aber R ø nningen verheimlichte ihnen irgendetwas, und jetzt war er im Begriff, sich in seinen eigenen Lügen zu verstricken.
»Es ist wohl schon vorgekommen, dass auch andere ihn fahren«, erwiderte er reserviert.
»Wer?«
»Wenn, dann ist es so lange her, dass ich es nicht mehr weiß.« Seine Stimme klang jetzt gereizt und hatte nichts mehr von dem weichen Tonfall, mit dem er im Fernsehen sprach. »Aber Sie haben mich doch sicher nicht hierherbestellt, um über Autos zu reden?«
»Doch«, sagte Wisting und lehnte sich nach vorn. »Denn Ihr Auto war am Freitag hier in Larvik.«
Thomas R ø nningen schwieg. Der Regen prasselte gleichmäßig auf den Sims vor dem Fenster, ohne dass das normalerweise beruhigende Geräusch eine entsprechende Wirkung auf ihn zu haben schien.
»Das hat aber nichts mit der Sache zu tun«, erklärte er schließlich.
»Das hat sehr wohl etwas mit der Sache zu tun«, entgegnete Wisting. »Sie haben kein Alibi mehr. Im Gegenteil, es bringt Sie in die Nähe des Tatorts, und dass Sie in diesem Punkt gelogen haben, rückt Sie in ein extrem schlechtes Licht.« Wisting sah, wie die Kiefermuskeln des Moderators arbeiteten.
»Es ist nicht so, wie Sie denken«, stieß R ø nningen hervor, während er nach Autoschlüssel und Handy griff. »Stehe ich unter Verdacht?«
»Wir könnten Sie wegen falscher Zeugenaussage belangen«, sagte Wisting gelassen und zog die ausgedruckten Listen der Mautgesellschaft hervor. Er legte sie vor R ø nningen hin und zeigte auf die Spalte, die die Uhrzeit und den Namen des Halters verzeichnete: 20.17 Uhr, Thomas R ø nningen.
Trotz jahrelanger Forschung, wie anhand von Körpersprache Lügner enttarnt werden können, gab es keine hundertprozentig sichere Methode, zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden. Wisting hatte die Erfahrung gemacht, dass Lügner sich weder durch einen ausweichenden Blick noch durch körperliche Nervosität verrieten und sich nicht öfter an die Nase fassten oder sich räusperten als jemand, der die Wahrheit sagte. Das Einzige, was sie enttarnen konnte, waren handfeste Beweise, und für R ø nningen gab es keinen Ausweg aus dem Schlamassel. Alle Möglichkeiten, sich herauszureden, waren versperrt.
Obwohl die körperlichen Anzeichen einer Lüge sich nicht mit Sicherheit deuten ließen, war die körperliche Resignation als Signal, dass die Lüge enttarnt war, klarer zu erkennen.
R ø nningen sank in sich zusammen und schüttelte den Kopf. »Ich kann das erklären«, sagte er.
Genau diese Worte hatte Wisting schon von vielen anderen auf demselben Stuhl gehört. Er sagte nichts, sondern wartete auf die Fortsetzung.
»Ich war in Larvik, aber nicht in meiner Hütte«, sagte R ø nningen.
»Was haben Sie hier gemacht?«
Thomas R ø nningen erhob sich, lief zum Fenster, machte kehrt und ging wieder zum Stuhl zurück. »Sie heißt Iselin Archer«, sagte er und blieb stehen.
Wisting kannte den Namen. Das war eine junge Malerin, die mehr Aufsehen wegen ihrer Ehe mit dem wesentlich älteren, medienbekannten Immobilieninvestor und Multimillionär Johannes Archer erregt hatte als mit ihrer Kunst. Das ungleiche Paar wohnte in Nevlunghavn, wo es eine stillgelegte Krabbenfabrik zu einem kombinierten Wohn- und Atelierkomplex umgebaut hatte. Iselin Archer veranstaltete dort regelmäßig Vernissagen und andere Empfänge, über die in Tageszeitungen und Klatschpresse ausgiebig berichtet wurde.
»Sie war Gast in Ihrer Sendung«, erinnerte Wisting sich.
Thomas R ø nningen nickte. »Zwei Mal. So fing es an. Am Tag nach der ersten Sendung rief ich sie von meiner Hütte aus an, eigentlich nur, um zu fragen, ob sie zufrieden war. Johannes war verreist und sie war ganz allein in dem großen Haus. Er hatte die Sendung nicht mal gesehen. Als sie hörte, dass ich allein in meiner Hütte gleich in der Nähe war, lud sie mich zum Mittagessen zu sich nach Hause ein. Sie servierte Champagner und Erdbeeren und ich blieb über Nacht dort.«
Wisting hörte aufmerksam zu. Wenn der Respekt vor der Wahrheit erst weggebrochen oder gemindert ist, wird alles bezweifelbar, aber was er hier zu hören bekam, war die
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