Winterjournal (German Edition)
gelangweilt in diesem stickigen Gefängnis aus Pyjama, Fieber und Aspirin alle vier Stunden, und an deine Freunde dachtest, die jetzt nach der Schule zweifellos im Grove Park Baseball spielten, denn die Sonne schien, und es war warm, also das ideale Baseballwetter. Du warst neun oder zehn Jahre alt, und du erinnerst dich jetzt, über ein halbes Jahrhundert später, dass du ganz allein im Haus warst. Draußen im Garten döste, an die Laufstange gekettet, die dein Vater für ihn gebastelt hatte, euer Hund im Gras. Er war seit gut zwei Jahren ein Teil deines Lebens, und du mochtest ihn sehr – ein verspielter, abenteuerlustiger kleiner Beagle, dem es irrsinnigen Spaß machte, Autos nachzujagen. Einmal war er schon überfahren worden, wobei sein linkes Hinterbein so schwer verletzt wurde, dass er es nicht mehr gebrauchen konnte, was ihn zu einem hinkenden Dreibeiner machte, dem zum Piraten nur noch das Holzbein fehlte, aber inzwischen hatte er sich gut an dieses Handicap gewöhnt und lief auch mit nur drei Beinen immer noch schneller als jeder vierbeinige Hund in der Nachbarschaft. Jedenfalls lagst du oben in deinem Zimmer im Bett, überzeugt, dass dein verkrüppelter Hund fest an seiner Laufstange im Garten angebunden war, als plötzlich eine Salve lauter Geräusche durch die Stille kracht: das Quietschen von Reifen vor deinem Haus, unmittelbar gefolgt von einem schrillen Schmerzensschrei, dem Jaulen eines Hundes, der Schmerzen hat, und sofort erkennst du, es ist dein Hund, der da so jault. Du springst aus dem Bett und rennst nach unten, und draußen trifft du das Monster, den Giftzwerg, und der gesteht dir, dass er den Hund losgebunden hat, weil er «mit ihm spielen wollte», und draußen steht auch der Fahrer des Autos, völlig fassungslos und aufgewühlt, und erklärt den zusammengeströmten Nachbarn, er habe keine Chance gehabt, der Junge und der Hund seien plötzlich einfach auf die Straße gelaufen, und ihm sei nur die Wahl geblieben, den Jungen oder den Hund zu überfahren, und natürlich habe er sich für den Hund entschieden, und da liegt er nun, dein Hund, dein überwiegend weißer Hund tot auf der schwarzen Straße, und während du ihn aufhebst und ins Haus trägst, sagst du dir: Nein, der Mann hatte unrecht, er hätte den Jungen überfahren sollen, nicht den Hund, er hätte den Jungen töten sollen, und in deiner Wut auf den Jungen, weil er deinem Hund das angetan hat, kommst du gar nicht auf den Gedanken, dass du in diesem Augenblick zum ersten Mal in deinem Leben einem anderen Menschen den Tod gewünscht hast.
Natürlich gab es Schlägereien. Kein Junge kann ohne die eine oder andere oder sehr viele durch die Kindheit kommen, und wenn du an die Balgereien und Konfrontationen denkst, an denen du teilgenommen hast, die buchstäblich atemberaubenden Magentreffer, die idiotischen Schwitzkästen und Würgegriffe, in denen ihr euch auf dem Boden gewälzt habt, fällt dir kein einziges Mal ein, wo du es warst, der damit angefangen hat, denn du konntest Prügeleien nicht ausstehen, aber weil es irgendwo in der Nachbarschaft immer einen Raufbold gab, einen hirnlosen Schläger, der dir mit Drohungen und Provokationen und Beleidigungen auf die Pelle rückte, kamst du manchmal nicht daran vorbei, dich zu verteidigen, auch wenn du der Kleinere warst und mit einer heftigen Tracht Prügel rechnen musstest. Scheingefechte hast du geliebt, Tackle Football und Nachlaufen, wilde Zusammenstöße mit dem Catcher an der Home Plate, aber echte Schlägereien waren dir ein Gräuel. Das war dir zu nervenaufreibend, das weckte zu viel böses Blut, und auch wenn du manche Schlägerei gewonnen hast, hinterher hättest du jedes Mal in Tränen ausbrechen können. Schläge austeilen oder einstecken – dieses Verfahren zum Austragen von Meinungsverschiedenheiten verlor jeden Reiz für dich, nachdem du im Sommerlager einen Jungen, der vom Dach einer Hütte auf dich runtergesprungen war, aus Rache gegen einen Holztisch geschubst und ihm dabei den Arm gebrochen hattest. Du warst zehn Jahre alt, und von da an hast du dich, so gut es ging, aus Schlägereien herausgehalten, aber manchmal musste es doch noch sein, zumindest bis du mit dreizehn endlich dahintergekommen bist, dass du jede Prügelei mit jedem beliebigen Jungen gewinnen konntest: Du brauchtest ihm nur dein Knie in die Eier zu rammen, dein Knie mit aller Kraft zwischen seine Beine zu stoßen, und einfach so, binnen Sekunden, war die Schlägerei vorbei. Das brachte dir einen
Weitere Kostenlose Bücher