Winterjournal (German Edition)
Ruf als «schmutziger Kämpfer» ein, und vielleicht war da etwas dran, aber du hast nur deshalb so gekämpft, weil du nicht kämpfen wolltest, und nachdem du es ein- oder zweimal getan hattest, sprach die Sache sich rum, und niemand hat dich je wieder angegriffen. Du warst dreizehn Jahre alt und hast dich für immer aus dem Ring zurückgezogen.
Keine Kämpfe mit Jungen mehr, aber eine beständige Sehnsucht nach Mädchen, danach, Mädchen zu küssen und mit ihnen Händchen zu halten, eine Sehnsucht, die schon lange vor Beginn deiner Pubertät eingesetzt hatte, in einem Alter, in dem Jungen an solchen Dingen angeblich noch gar nicht interessiert sind. Schon im Kindergarten, wo du dich in die Kleine mit dem goldenen Pferdeschwanz verliebtest (sie hieß Cathy), warst du immer versessen aufs Küssen, und tatsächlich habt ihr, du und Cathy, damals so manchen Kuss ausgetauscht – unschuldige, flüchtige Küsse, versteht sich, aber nichtsdestoweniger überaus angenehm. In jenen Jahren der sogenannten Latenz bekundeten deine Freunde nach außen hin einhellig Verachtung für Mädchen. Verhöhnten sie, hänselten sie, zwickten sie, zogen ihnen die Röcke hoch, während du diese Antipathie nie empfunden hast, dich nie dazu aufraffen konntest, bei diesen Feindseligkeiten mitzumachen, und die ganze Grundschulzeit hindurch (das heißt, bis zum zwölften Lebensjahr, als du bei der Abschlussfeier deiner Klasse mit einem blutgetränkten Verband um den Kopf die amerikanische Flagge trugst) ein ums andere Mal für ein Mädchen entflammtest, Patty, Susie, Dale, Jan und Ethel. Natürlich nur Küsse und Händchenhalten (von der Mechanik des Sex hattest du nur höchst vage Vorstellungen und warst ohnehin rein physisch dazu außerstande, da du erst mit vierzehn so richtig in die Pubertät gekommen bist), aber das Küssen hatte sich bis zum Tag der Abschlussfeier zu einer ausgesprochen wilden Angelegenheit entwickelt. In jenem letzten Jahr vor Beginn der Junior Highschool gab es Tanzabende und unbeaufsichtigte Partys, fast jedes Wochenende waren du und deine Clique von fünfzehn oder zwanzig anderen bei irgendwem eingeladen, und dort, in spießigen Wohnzimmern und ausgebauten Kellern, tanzten Mädchen mit sprießenden Brüsten und impotente Jungen zu den neuesten Rock-’n’-Roll-Songs (den Hits von 1958 und 1959 ), und später am Abend wurden die Lampen verhängt, die Musik hörte auf, und Jungen und Mädchen verzogen sich paarweise in Ecken und Winkel, um wie wild zu knutschen, bis es Zeit war, nach Hause zu gehen. In diesem Jahr hast du viel über Lippen und Zungen gelernt und zum ersten Mal erfahren, welche Wonnen es bereitet, ein Mädchen in den Armen zu halten und die Arme eines Mädchens um deinen Körper zu spüren, aber das war es dann auch schon. Es gab Grenzen, die nicht überschritten werden konnten, und noch gabst du dich damit zufrieden, sie nicht zu überschreiten. Nicht weil du Angst davor hattest, sondern weil es dir überhaupt nicht in den Sinn kam.
Endlich kam der Tag, an dem du die Grenze zwischen Kindheit und Jugend kurzerhand überschritten hast, und nachdem du jetzt wusstest, wie sich das anfühlt, nachdem du entdeckt hattest, dass dein alter Freund, der Feuerwehrmann, tatsächlich ein Spender himmlischer Freuden war, wurde die Welt, in der du lebtest, zu einer anderen, denn der Rausch dieses Gefühls hatte deinem Leben einen neuen Sinn gegeben, hatte dir einen neuen Grund geliefert, am Leben zu sein. Jetzt kamen die Jahre der phallischen Besessenheit. Wie jedes andere männliche Lebewesen, das je auf Erden gewandelt ist, wurdest du zum Knecht der wundersamen Veränderung, die sich in deinem Körper vollzogen hatte. An den meisten Tagen konntest du kaum an etwas anderes denken – an manchen Tagen an gar nichts anderes.
Gleichwohl, wenn du dich an die Jahre unmittelbar nach deiner Verwandlung erinnerst, fällt dir auf, wie schüchtern und zaghaft du damals gewesen bist. Trotz deiner lodernden Leidenschaft, trotz deiner ständigen Jagd nach Mädchen die ganze Highschool-Zeit hindurch, trotz deiner Romanzen und Liebeleien mit Karen, Peggy, Linda, Brianne, Carol, Sally, Ruth, Pam, Starr, Jackie, Mary und Ronn waren deine erotischen Abenteuer erschreckend brav und lahm, wenig mehr als die Knutschereien, die du als Zwölfjähriger hattest. Vielleicht hattest du einfach Pech, oder vielleicht warst du nicht dreist genug, aber du neigst dazu, Ort und Zeit die Schuld zu geben, den Lebensumständen in einer
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