Winterkartoffelknoedel - Ein Provinzkrimi
Probleme hab. Da brauch ich jetzt nicht noch so einen saublöden Unfall.«
»Ja, wer braucht den schon? War nicht deine Woche, gell? Erst der Bruder. Dann das Auto. Schönes Auto. Neu?«
»Nagelneu«, ein tiefer Seufzer entweicht seiner Kehle.
»Nagelneu also. Hab ich mir gleich gedacht, dass der nagelneu ist – oder war. Jetzt ist er ja mehr gebraucht.«
Er schnauft tief ein und aus, ein bisschen theatralisch für meine Begriffe.
»War’s das jetzt?«
»Ja, das war’s fürs Erste. Du kannst fahren. Aber nur bis zur nächsten Werkstatt, verstanden?«
Er nickt.
Kapitel 5
Am Nachmittag fahr ich dann erst einmal ins Büro und schau mir die Neuhoferunterlagen vom Containerunfall noch mal genauer an. Irgendwas stimmt da nicht. Das hab ich im Gefühl. Nach fast zwanzig Jahren Polizei, da hast du halt ein Gefühl, das ist unglaublich. Untrüglich sozusagen. Und ich war ja nicht immer nur ein Dorfgendarm. Nein, ich war ja fünfzehn Jahre lang praktisch am Nabel der Welt: München PI 43, Moosacherstraße. Ja, da war was los, mein Freund! Da kriegst du ein untrügliches Gespür für nervöse Menschen.
Versetzt worden bin ich dann vor drei Jahren. Auf ausdrückliches Verlangen vom Polizeipsychologen, dem Herrn Dr. Dr. Spechtl. Ja. Der war früher einmal Hals-Nasen-Ohren-Arzt und hat dann praktisch umgeschult auf Psychologie. Polizeipsychologie genau. Weil er halt die Schnauze voll gehabt hat von Rotzglocken und Polypen. Jedenfalls hat mich der versetzt. An die Heimatfront sozusagen. Das muss ich jetzt vielleicht kurz erklären: Also, der Birkenberger Rudi und ich, wir waren ein erstklassiges Team. Dreamteam, sag ich immer. Wir haben uns verstanden so ohne ein Wort, es hat halt einfach gepasst. Irgendwann haben wir dann öfters einen Pädophilen von Stadelheim zum Gericht fahren müssen. Vier Buben und ein Mädchengingen auf das Konto von diesem Kinderficker, eine grausige Sache. Das ist sowieso schon eine Zumutung,
so
einen im Streifenwagen sitzen zu haben. So ein mieses Stück, da musst du dich schon richtig zusammenreißen. Wenn du in den Rückspiegel geschaut hast, hat er dich immer so provokant angegrinst. Da hast du schon die Faust geballt, frag bloß nicht!
Einmal dann sind wir an einer roten Ampel gestanden und über den Fußgängerüberweg ist eine Gruppe Schulkinder gelaufen. Da fängt der Typ hinten das Stöhnen an, das kann man gar nicht erzählen. Provokant bis dorthinaus. Jedenfalls ist der Rudi dann ein wenig von der Route abgewichen und in den Wald gefahren. Und dort hat er ihn dann kastriert. Hat ihm einfach die Eier weggeschossen.
Ja, der Rudi ist dann erstens entlassen und zweitens verhaftet worden. Fünf Jahre wegen schwerer Körperverletzung. Aber das war’s ihm wert, hat er gesagt. Weil er aber im Herzen ein kreuzbraver Mann ist, haben sie ihn entlassen nach zweieinhalb Jahren. Wegen guter Führung.
Und ich hab halt einen Psychologen gekriegt. Den Herrn Dr. Dr. Spechtl. Der hat mich dann hundertmal gefragt, warum ich das nicht verhindert hab, und ich hab ihm hundertmal erklärt, wenn der Rudi nicht geschossen hätte, dann hätt ich es selber gemacht.
Nach diesem Ereignis hab ich dann häufig meine Waffe im Spind vergessen. Der Spechtl sagt, das ist mein Unterbewusstsein. Weil das halt kein Risiko eingehen will, dass ich jetzt womöglich den Nächstbesten kastrier auf der Straße.
Und dann, eineinhalb Jahre später, werd ich angeschossen. In die Schulter. Bei einem Banküberfall, wo ich wieder saudummerweise meine Knarre nicht dabei hab. Und jetztentwickelt sich alles völlig ins Gegenteil. Jetzt nämlich lauf ich ständig mit der Waffe im Anschlag durch München und bin tierisch auf der Hut, nicht angeschossen zu werden. Der Spechtl sagt: Unterbewusstsein!
Was mir praktisch wurst ist, ich mein nur, sicher ist sicher. Jedenfalls passt es weder meinen Vorgesetzten noch dem Spechtl, dass ich wie Rambo durch die Straßen zieh. Und sie meinen, wenn ich schon jemanden abknallen muss, dann halt lieber in der heimatlichen Provinz. Und so bin ich gelandet, wo ich jetzt bin. Mein Gott, das war jetzt langatmig. Aber einfach zum besseren Verständnis, damit man halt weiß, warum ich ein Dorfgendarm bin.
Jedenfalls hat mich der Neuhofer heut mit seiner Nervosität so dermaßen misstrauisch gemacht. Und drum fang ich an zu überlegen. Ich frag mich ehrlich, ob der Neuhofer nicht seine buckelige Verwandtschaft auf dem Gewissen hat. Weil: sind wir einmal ehrlich, eine Familienharmonie
Weitere Kostenlose Bücher