Winterkill
blickte, sah sie die glühenden Augen eines bedrohlichen Wesens aufleuchten und riss vor lauter Schreck das Lenkrad nach links. Der Wagen geriet ins Schleudern, drehte sich einmal um die eigene Achse und rutschte im vollen Tempo über den Mittelstreifen. Unter den Rädern wirbelte Schnee auf und hüllte sie wie eine dichte Wolke ein. Sie drehte am Lenkrad, spürte keinen Widerstand und konnte nicht das Geringste tun, als ein dunkler Schatten vor ihr auftauchte und sie das durchdringende Hupen eines Trucks vernahm.
Mit der Beifahrerseite krachte ihr Wagen gegen die Räder des Trucks, überschlug sich mehrmals und blieb mitten auf der Fahrbahn im Schnee liegen. Ein Reifen rollte davon und kullerte auf den Mittelstreifen. Die Motorhaube klappte hoch.
Wendy spürte gar nichts mehr. Der Traumfänger am Innenspiegel, der Unglück von ihr abhalten sollte, baumelte über ihrem blutüberströmten Gesicht.
Sarah stemmte sich vom Boden hoch und blieb keuchend stehen. Vorsichtig belastete sie den verstauchten Knöchel. Es tat immer noch weh, und sie hätte sich am liebsten wieder hingesetzt, doch sie zwang sich, einige Schritte zu gehen, und spürte zu ihrer Erleichterung, wie der Schmerz etwas nachließ.
Sie bückte sich und rieb vorsichtig über diegeschwollene Stelle. Sie tat etwas Schnee auf den Knöchel, um die Schwellung zu lindern, und richtete sich langsam auf. Auf einmal spürte sie die Anstrengung in den Knochen. Seit ein paar Stunden war sie schon auf der Flucht, hetzte angsterfüllt durch den Schnee, musste sie befürchten, von den Killern eingeholt und erschossen zu werden. Mit Ethan hatte sie kurz vergessen, in welcher Gefahr sie schwebte.
Jetzt hatte man ihr auch diese Zuflucht genommen. Was war bloß in Ethan gefahren? War er wirklich so krank, dass er nicht mehr wusste, was er tat? Warum ließ er sich nicht helfen? Der Verdacht, auch er könnte vom Wendigo besessen sein, stieg in ihr auf und drohte ihr die Kehle abzuschnüren. Allein der Gedanke, Ethan könnte ein ganz anderer sein, jagte ihr Schauer über den Rücken. Noch nie hatte sie einen jungen Mann getroffen, der so zärtlich und sanft auf sie eingegangen war und sie durch den intensiven Blick aus seinen blauen Augen verzaubert hatte.
In seinen Armen hatte sie sich wie im Paradies gefühlt. Seine Berührung hatte einen wohligen Schauer in ihr ausgelöst und Gefühle in ihr geweckt, die sie bisher nicht gekannt hatte. Weder Roberto noch die beiden anderen Jungen, mit denen sie bisher geschlafen hatte, waren ihr so nahe gewesen. Bei Ethan reichte schon ein Lächeln oder ein sanftes Streicheln für ein Glücksgefühl, und als sie seine Wange berührt und ihre Lippen dicht vor seinen gewesen waren, hatte sie das gleiche Gefühl in seinen Augen entdeckt. Sie waren füreinander bestimmt, das wusste sie genau.
Unter der Markise eines italienischen Lokals suchte sie Schutz vor dem heulenden Wind und dem treibenden Schnee. Sie kramte ihre Handschuhe hervor und zog sie an. In dieser Gegend gab es etliche Restaurants, deren erleuchtete Fenster eine Zuflucht vor dem Unwetter versprachen.Südlich von ihr verschwand die Wells Street im Labyrinth der erleuchteten Wolkenkratzer, die vor allem innerhalb des Hochbahnrings im Loop dem Blizzard trotzten. Die hellen Fenster einer Hochbahn bewegten sich durch den Schnee und verschwanden.
Nachdem sie sich durch einen prüfenden Blick davon überzeugt hatte, dass der schwarze Escalade nicht in der Nähe war, trat sie in den Hauseingang neben dem Restaurant und kramte ihr Handy aus der Umhängetasche. Mit den behandschuhten Fingern tippte sie die Notrufnummer ein, dir ihr die US Marshals gegeben hatten. Nach dem ersten Klingeln meldete sich eine weibliche Stimme: »US Marshal O’Keefe.«
»Sarah Standing Cloud«, meldete sie sich leise. »Sie haben mich gefunden.«
»Sarah?«, kam die überraschte Antwort. O’Keefe war eine der beiden Beamtinnen, die für sie zuständig waren. »Sarah Standing Cloud? Ihre Nummer ist unterdrückt. Wie lautet sie?« Und als sie die Nummer genannt hatte: »Wo sind Sie? Wo kann ich Sie abholen? Sarah? Sind Sie noch dran?«
Sarah ließ die Hand mit dem Telefon sinken und starrte wie gebannt auf die Straße. Hinter einem Linienbus, nur wenige Schritte von ihr entfernt, hielt der schwarze Escalade. Selbst im dichten Schneetreiben konnte sie die Männer auf den Vordersitzen deutlich erkennen. Die Killer hatten sie eingeholt!
Ohne US Marshal O’Keefe zu antworten, stopfte sie das Handy in
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