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Winterkill

Winterkill

Titel: Winterkill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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das Leben ging dennoch weiter. Haben deine Vorfahren nicht die Sioux und Cheyenne aus diesem Land getrieben? Du kannst die Welt nicht verändern, auch ich kann das nicht.«
    »Aber du versuchst es«, erwiderte Niskigwun. »Du willst Kitche Manitu vertreiben und uns deinen Glauben aufzwingen. Ist dein Gott besser als unserer? Ist er gerechter? Warum sterben dann so viele Anishinabe an Drogen und Alkohol? Warum bekommen sie keine Arbeit? Warum verlassen so viele junge Menschen den kleinen Flecken Land, den ihr uns gelassen habt, und gehen den Weg des weißen Mannes?«
    Father Paul wurde nicht müde, mit Niskigwun zu diskutieren, selbst in diesem Schneetreiben. »Ich will Kitche Manitu nicht vertreiben«, sagte er. »Wir beten zu demselben Gott. Ihr habt nur einen anderen Namen für ihn. Ich habe auch nichts gegen die Midewiwin, wie du immer behauptest, denn sie leben so, wie auch Christen leben sollten. Ich will ein besseres Leben für die Anishinabe und setzemich mit meiner ganzen Kraft dafür ein. Warum, meinst du, leben wir Schwarzkittel, wie du uns nennst, in Armut? Warum heiraten wir nicht? Weil wir unsere ganze Kraft brauchen, um für ein besseres und gerechteres Leben einzutreten. Warum unterstützt du uns nicht, Niskigwun? Warum betest du zu Dämonen und bösen Geistern und bittest sie, Unglück über unschuldige Menschen zu bringen? Über Weiße und über Indianer?«
    Niskigwun wandte sich ab und ging ein paar Schritte. Seine hagere Gestalt hob sich dunkel gegen den treibenden Schnee ab. Den eisigen Wind schien er gar nicht zu spüren. Er blickte schweigend in die Ferne, als läge dort die Antwort auf seine drängenden Fragen.
    »Ich weiß, dass du vor fünf Jahren deinen Sohn verloren hast«, fuhr Father Paul so leise fort, dass Niskigwun ihn kaum verstand. »Ich kann mich gut daran erinnern, obwohl du es vorgezogen hast, ihn auf deine Weise zu bestatten, und ihm die Letzte Ölung verweigert hast. Ich kann mir vorstellen, wie groß dein Schmerz gewesen sein muss.«
    »Nein, das kannst du nicht!«, erwiderte Niskigwun wütend. Er trat auf den Missionar zu und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Wie auch? Schwarzkittel haben keine Frauen. Sie wissen nicht, wie es sich anfühlt, eine Frau oder ein Kind zu verlieren. Junge Frauen meines eigenen Volkes haben meinen Sohn getötet. Sie haben ihn verlacht und verspottet, weil er hierbleiben und seine Familie nicht im Stich lassen wollte, und sie haben keinen Finger gerührt, um ihn am Selbstmord zu hindern.« Er nahm den ausgestreckten Arm herunter und fuhr grimmig fort: »Aber sie werden dafür bezahlen, jede Einzelne von ihnen. Der Wendigo wird sie holen, so wie er alle Verräter an meinem Volk holen wird. Er wird sie töten und die Schmach von meinem toten Sohn nehmen.« Er zog die Decke, die vonseiner Schulter gerutscht war, mit einer heftigen Bewegung zurück und stapfte davon. Nach einigen Schritten drehte er sich noch einmal um. »Hüte dich vor dem Wendigo, Schwarzkittel. Auch weißes Fleisch verschmäht er nicht.«
    »Dein Fluch kann mich nicht erschrecken, Niskigwun!«, rief der Priester dem Indianer nach. »Gehört Sarah Standing Cloud zu den jungen Frauen, auf die du den Wendigo gehetzt hast, Niskigwun?«
    Niskigwun blieb so plötzlich stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Er drehte sich zu Father Paul um und betrachtete ihn verwirrt, sagte aber nichts.
    Dann stieg er in seinen Pick-up und brauste in einer Schneewolke davon.
    Wendy Running Wolf servierte dem älteren Mann am Fenster das Sandwich, nahm die leeren Teller vom Nachbartisch mit und brachte sie in die Küche. Sie war bereits eine halbe Stunde über die Zeit. Die Bedienung der Spätschicht war neu und brauchte noch Hilfe, bis der abendliche Ansturm vorüber war.
    »Höchste Zeit, dass ich mich auf den Weg mache«, sagte sie nach der Abrechnung zu ihrem Chef, einem stoppelbärtigen Kanadier, der von Winnipeg nach Grand Forks gezogen war und sich mit dem eigenen Lokal einen Kindheitstraum erfüllt hatte. »Stimmt alles?«
    »Wie immer«, erwiderte der Restaurantbesitzer und schob ihr einen Zwanziger extra zu. Er blickte auf den verschneiten Parkplatz vor den Fenstern. »Bei dem Wetter willst du nach Fargo? Warum fährst du nicht morgen früh?«
    »Da muss ich zur Uni.« Sie bedankte sich für den Zwanziger und steckte ihn ein. »Außerdem hab ich Mary versprochen, dass ich heute komme. Wie ich die alte Ladykenne, wartet sie schon den ganzen Tag auf mich. Sie ist neunzig und hat

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