Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterkill

Winterkill

Titel: Winterkill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
Vom Netzwerk:
Hilfe brauchten. Aber sie war der Meinung gewesen, es nur in der Ferne zu etwas bringen zu können. Ein Job, der nur das Geld zum Überleben brachte, genügte ihr nicht. Sie wollte etwas gestalten und bewegen. Die meisten Leute im Reservat hatten es verstanden, sogar ihre Eltern, die sehr traditionell eingestellt waren. Nur der alte Niskigwun hatte sie schief angesehen und sie sogar eine Verräterin genannt. Aber das hatte wohl mehr mit seinem Sohn zu tun, der nicht den Mut besessen hatte, nach der Highschool eine neue Herausforderung zu suchen, und sich schließlich umgebracht hatte. Warum, hatte sie nie verstanden.
    »Wendy! Komm zu mir, Wendy!« Wieder dieses unheimliche Flüstern, ein Krächzen beinahe, das sie an dieMonster erinnerte, mit denen man sie während ihrer Kindheit erschreckt hatte.
    Sie glaubte nicht an Monster und ließ sich auch jetzt nicht aus der Ruhe bringen. Auf einer Fahrt durch dieses einsame Land konnte schon mal die Fantasie mit einem durchgehen. Während eines Gewitters hatte sie mal die Siegesschreie eines Kriegertrupps gehört.
    Sie kniff die Augen gegen das Fernlicht eines Trucks zusammen, der auf der Gegenfahrbahn an ihr vorbeifuhr. In seinem Sog wirbelte Schnee auf und zog in dichten Schleiern über den schneebedeckten Grünstreifen. Vor ihrer Rückfahrt, wenn sie die alte Dame versorgt und ihr aus einem Buch vorgelesen hatte, würde sie noch in dem Burger King am Stadtrand vorbeischauen und sich einen fetten Whopper gönnen. Einmal im Monat musste das sein, besonders bei diesem Sauwetter.
    Weit vor ihr tauchten flackernde Lichter auf. Die Warnlichter von Streifenwagen und Abschlepptrucks, dazwischen die roten Fackeln, mit denen man eine Gefahrenstelle sicherte. Eine Baustelle oder ein Unfall, das hatte ihr gerade noch gefehlt. Als sie einen uniformierten Polizisten erkannte, der sie mit erhobenen Händen zum Anhalten aufforderte, ging sie mit der Geschwindigkeit herunter und fuhr langsam an die Gefahrenstelle heran. Sie ließ das Fenster herunter. »Officer?«, fragte sie höflich.
    »Zehn Minuten, Miss«, sagte der Polizist, ein untersetzter Mann mit gefütterter Mütze. »Sobald wir den Lieferwagen zur Seite geräumt haben, können Sie weiter.« Er beugte sich zu ihr herunter. »Schalten Sie die Warnblinker ein.«
    Sie tat, was er verlangte, und wollte sich gerade bei ihm bedanken, als sie das rote Glimmen in seinen Augen bemerkte. Gleichzeitig hörte sie das heisere Flüstern wieder.»Wendy! Komm!«, rief die Stimme. Sie klang so laut in ihren Ohren, dass sie zusammenzuckte.
    »Alles in Ordnung, Miss?«, fragte der Polizist besorgt. Das rötliche Glimmen war aus seinen Augen verschwunden.
    »Ja … ja«, sagte Wendy schnell.
    Während sie wartete, nahm sie einen Schluck aus der Wasserflasche, die sie in der Tasche hatte. Danach fühlte sie sich besser. Ihr fiel ein, dass sie vor lauter Arbeit nichts gegessen hatte, vielleicht spielte ihr die Fantasie deshalb einen Streich und ließ sie Stimmen hören. Lass dich nicht verrückt machen, ermahnte sie sich. Es gibt keine Monster, okay?
    Nach einer knappen Viertelstunde winkte der Polizist sie durch und sie fuhr langsam an der Unfallstelle vorbei. Erst als die flackernden Lichter aus ihrem Rückspiegel verschwunden waren, gab sie wieder Gas. Als sie an Hillsboro, der einzigen größeren Ortschaft zwischen Grand Forks und Fargo, vorbeifuhr, hatte sie die seltsamen Vorkommnisse bereits wieder vergessen.
    »Warum fährst du nicht schneller, Wendy?« Wieder die geheimnisvolle Stimme, nur lauter diesmal und noch heiserer, keuchend beinahe. »Du wirst sterben, Wendy, das weißt du doch?«
    Gegen ihren Willen drückte sie das Gaspedal durch. Wie von einer unsichtbaren Kraft gezwungen, wurde sie immer schneller, achtzig, neunzig, hundert Meilen. Der altersschwache Ford klapperte und zitterte in allen Fugen.
    Ihre Hände verkrampften sich um das Lenkrad. Verzweifelt versuchte sie den Wagen in der Spur zu halten. Die Räder schlitterten über den schneebedeckten Asphalt und fanden kaum noch Halt. Sie riss den Fuß vom Gas und trat auf die Bremse, zwei-, drei-, viermal mit vollerWucht, doch sie reagierte nicht, und der Wagen jagte weiter über den Asphalt, als würde eine unsichtbare Macht das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrücken. Sie weinte und fluchte und betete, spürte plötzlich, wie eisige Kälte durch die geschlossenen Fenster drang und sie erstarren ließ.
    Sie suchte verzweifelt nach einem Ausweg, doch als sie in den Innenspiegel

Weitere Kostenlose Bücher