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Winterkill

Winterkill

Titel: Winterkill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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Nur die wirbelnden Flocken und der schmutzige Schnee, der von den Rädern des Busses aufgewühlt und auf den breiten Gehsteig getrieben wurde.
    Nur ganz allmählich beruhigte sie sich. Sie war in Sicherheit, vorerst jedenfalls, im Bus konnte ihr niemand was anhaben. Hoffte sie jedenfalls. Sie hatte den Wendigo ein weiteres Mal besiegt, ihn erneut daran gehindert, sie in den Tod zu treiben. Ihr Schutzengel war stärker als der böse Wintergeist.
    Hatte er ihr nicht im richtigen Augenblick Ethan geschickt, der sie gerettet hatte?
    Sie lehnte sich vorsichtig zurück, spürte ihre Schulter, mit der sie beim Einsteigen gegen eine Haltestange geprallt war, ließ den Schmerz aber nicht ihre Gedanken stören. Noch immer fühlte sie Ethans Atem auf ihren Lippen, alssein Mund dicht über dem ihren gewesen war und sie sich beinahe geküsst hätten. Wie sehr sie sich nach diesem Kuss und einer erneuten Berührung sehnte! Er war einer dieser seltenen Männer, die eine Frau vollkommen in ihren Bann schlagen konnten und ihr gleichzeitig die Freiheit ließen, die man als selbstbewusste Frau brauchte. Die Frauen ihres Volkes waren immer selbstbewusst gewesen, auch wenn die Weißen das nicht wahrhaben wollten.
    Der Bus hielt an einer Haltestelle und durch die geöffnete Tür wehte Kälte in den Innenraum. Eine Frau mit einem kleinen Hund stieg ein und setzte sich zwei Reihen hinter Sarah auf eine Bank. Ihren winzigen Hund nahm sie auf den Schoß und redete ihm leise zu.
    Ob sie Ethan jemals wiedersehen würde? Sarah betrachtete ihr Spiegelbild im dunklen Fenster und lächelte bitter. Wenn er ein Engel war, würde er Mittel und Wege finden, selbst dann, wenn sie ihr restliches Leben vor dem Wendigo fliehen müsste. Oder hatte der Wendigo ihn bereits besiegt? War seine angebliche Übelkeit dem hungrigen Monster zu verdanken gewesen? Hatte der Wendigo ihn dazu gebracht, sie aus dem Wagen zu stoßen? Hatte der Angriff vor dem Polizeirevier auch ihm gegolten? »Lass ihn in Ruhe! Er hat dir nichts getan!«, drohte sie so laut, dass sich alle Fahrgäste nach ihr umdrehten.
    Der Fahrer blickte sie besorgt an. »Alles in Ordnung mit Ihnen, Miss?«
    Sie erschrak. »Ja … ja, alles okay, Mister … Ist mir nur so rausgerutscht.«
    Sarah blickte nach vorn und erkannte, wie schwer es dem Fahrer fiel, den Bus in der Spur zu halten. Zu stürmisch war der Wind, der vom See heraufblies. Er peitschte gegen das schwere Gefährt und versuchte es mit brachialer Gewalt zur Straßenmitte zu drücken.
    »Sauwetter!«, hörte sie den Fahrer murmeln. Er wich einem Lieferwagen aus, der ebenfalls im Sturm wankte, und war froh, als die nächste Haltestelle kam und er für eine halbe Minute durchatmen konnte. Zwei Jugendliche stiegen ein, warfen ihr wegen ihres ramponierten Aussehens einen neugierigen Blick zu und gingen nach hinten.
    Sie lehnte den Kopf gegen das Fenster und schloss die Augen. Dass Bruno Cavani sich dafür rächen wollte, dass sie seinen Bruder ins Gefängnis gebracht hatte, war klar. Aber warum hatte es der Wendigo auf sie abgesehen? Was hatte sie nur getan, um das gefährliche Ungeheuer gegen sich aufzubringen?
    Sie versuchte Klarheit in ihre Gedanken zu bringen. Alles nur Einbildung, der Wendigo ist eine Sagengestalt, versuchte sie sich einzureden, so wie sie es die letzten paar Stunden getan hatte. Wenig überzeugend, wenn sie daran dachte, was alles passiert war. Seltsam, fiel ihr auf, der Wendigo hatte sie bisher nur zweimal direkt angefallen. Als er versucht hatte, sie vor den Wagen zu stoßen, und vor wenigen Minuten, als er sie auf die Straße geschleudert hatte. Ansonsten hatte er es über andere Menschen versucht. Den Cop in der U-Bahn, den Alten auf der Straße, vielleicht auch Ethan. Sogar mit den Killern hatte er sich verbündet. Hatte er etwa Angst, gegen sie den Kürzeren zu ziehen?
    Der Bus bog auf die Straße nach Norden und fuhr auf den Loop zu. Das Schneetreiben hatte etwas nachgelassen, aber der Wind war hier unten am Lake Michigan besonders stark. Sie drückte ihre Nase gegen das Fenster und beobachtete eine junge Frau, die geduckt zu ihrem Wagen auf dem Parkplatz rannte und ihren Regenschirm wie einen Schutzschild gegen den Wind stemmte. Vor ihrem Wagen wurde ihr der Schirm aus der Hand gerissen und wirbeltein eine Baumkrone. Sie blickte ihm gleichgültig nach, stieg in ihren Wagen und fuhr langsam vom Parkplatz.
    Sarah massierte vorsichtig ihren Knöchel und blickte wieder nach vorn, auf die erleuchteten Wolkenkratzer,

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