Winterkill
Versehen an den Fensteröffner gekommen, mehr war nicht. Wenn ich’s nicht selbst gesehen hätte, würde ich es auch nicht glauben, aber sie zuckte vor dem kalten Wind zusammen, als wäre ein Ungeheuer in den Wagen gekrochen. Sie hatteTodesangst. Als ich hielt, riss sie die Tür auf, rannte über die Straße und wäre beinahe noch überfahren worden, so eilig hatte sie es.«
»Und Sie haben sie nicht erwischt?« Wieder schwang ein Vorwurf in Tumblins Stimme mit. »War sie so schnell?«
»Sie war in Panik«, erwiderte Havelka, »und ich wurde durch den Verkehr aufgehalten.« Sie deutete aus dem Fenster. »Sie sehen doch selbst, was da draußen noch los ist. Natürlich war sie schnell. Und sie hatte auch noch Glück, weil man in dem Blizzard kaum die Hand vor Augen sah. Bevor ich michs versah, war sie verschwunden. Ich bin ihr nachgelaufen und hab sie gesucht, das versteht sich wohl von selbst, konnte sie aber nirgendwo finden. Sie kann überall sein. Wer weiß, vielleicht hat sie den Bus genommen.«
»Aber warum?«, überlegte Tumblin laut. »Wenn ich mich recht erinnere, kam sie doch freiwillig zur Polizei. Bei diesem Apartmenthaus in Streeterville.«
Havelka trank von ihrem Kaffee und war ebenso wenig begeistert wie O’Keefe. »Das stimmt. Sie tat alles, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Die beiden Killer müssen ihr dicht auf den Fersen gewesen sein. Es gibt übrigens keinen Escalade, dessen Kennzeichen mit den Zahlen beginnt, die sie uns genannt hat. Entweder hat sie nicht genau hingesehen oder ihre Verfolger haben sich das Nummernschild vom Schrottplatz geholt.« Sie musterte beide, US Marshal O’Keefe und Special Agent Tumblin. »Wie konnte ihre Deckung auffliegen? Ich war der Meinung, das Zeugenschutzprogramm sei inzwischen einigermaßen sicher.«
»Ist es auch«, stimmte ihr O’Keefe zu, »aber hundertprozentige Sicherheit können auch wir nicht bieten. Die hat Sarah erst, wenn Bruno Cavani hinter Schloss und Riegel sitzt … und das kann eine Weile dauern, nicht wahr?«
»Und warum hat sie dann gegen Alberto ausgesagt?«, fragte Havelka. »Sie hätte es sich doch einfach machen und die Aussage verweigern können. Niemand hätte ihr das übel genommen.«
»Sie bestand darauf«, berichtete O’Keefe weiter. »Adam Little Crow, der alte Mann, den Cavani umgebracht hatte, war über drei Ecken mit ihr verwandt. Sie brachte ihm Essen und half ihm im Haushalt, wenn sie während ihrer Collegezeit im Reservat zu Besuch war. Als der Mord geschah, war sie zufällig vor dem Haus. Sie hörte seine Schreie und beobachtete durchs Fenster, wie Alberto Cavani auf ihn einstach. Sie konnte von Glück sagen, dass er sie nicht entdeckte, sonst wäre sie wohl auch ermordet worden.«
»Und warum haben Sie damals nicht den ganzen Verein hochgehen lassen?«, fragte Havelka. »Das war doch keine Einzeltat. Da steckte doch sein Bruder dahinter, der große Mafia-Boss.«
»Und nicht nur der«, erklärte der FBI-Agent. »Nach unseren Ermittlungen wollte Clarkson Minerals unbedingt Kupfer auf dem Gebiet der Grand Portage Reservation abbauen. Und dazu brauchten sie die Zustimmung des Stammesrates. Da es aber bei den Ojibway eine Mehrheit gegen das Unternehmen gab, eine Mehrheit, die von Adam Little Crow angeführt wurde, tat sich der Konzern mit der Mafia zusammen, um den unliebsamen Krieger loszuwerden. Wie wir wissen, klappte das ja auch. Als Gegenleistung bekommen die Cavanis natürlich Prozente und sie konnten über Strohmänner das Casino bauen. Ein idealer Ort, um Schwarzgeld zu waschen, und das gibt es reichlich. Der einzige Schönheitsfehler war, dass Sarah gegen Alberto vor Gericht aussagte.«
Havelka hörte diese Zusammenhänge zum ersten Mal.»Das wissen Sie alles, und trotzdem befindet sich Bruno Cavani noch immer auf freiem Fuß?«
»Wir haben keine Beweise«, erwiderte Tumblin. »Nicht mal gegen Clarkson Minerals haben wir etwas in der Hand. Die Leute sind mit allen Wassern gewaschen und kennen jeden Trick. Die wichtigen Abmachungen laufen alle im Geheimen, davon wissen nur zwei oder drei Leute bei Clarkson was. Und undercover sind wir an die Cavanis bisher nicht rangekommen.« Er hob resignierend die Schultern. »Ich weiß, das klingt frustrierend, aber so ist es nun mal.«
»Und wie hat Bruno Cavani herausgefunden, wie Sarah heißt und wo sie wohnt? Wie kann so was passieren?«
»Einem Mann wie Bruno Cavani stehen viele Wege offen«, antwortete O’Keefe, »besonders wenn er jemand so hasst wie Sarah. Sie
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