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Winterkill

Winterkill

Titel: Winterkill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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mit dem Schamanen zu sprechen. Ich glaube nicht, dass er etwas mit den Vorfällen zu tun hat, aber nachgehen muss ich der Sache wohl.«
    »Ich bin vorhin mit ihm aneinandergeraten«, sagte Father Paul. »Wir mögen uns nicht besonders. Er behauptet, den Wendigo auf die, entschuldigen Sie bitte den Ausdruck, ›verdammten Weiber‹ gehetzt zu haben, auf die Frauen, die er für den Selbstmord seines Sohnes verantwortlich macht. Ich glaube auch nicht an den Wendigo, Lieutenant, aber ganz geheuer ist mir die Sache nicht. Wenn ich ehrlich bin, habe ich sogar Angst. Ich möchte nicht, dass noch eine dieser Frauen stirbt.«
    »Das vierte Mädchen von links?«
    »Florence Weinert«, antwortete er. »Sie verließ das Reservat vor fünf Jahren, gleich nach der Abschlussfeier, so wie die drei anderen Mädchen auf dem Foto. Sarah ging aufs College, Wendy studiert Marketing an der University of North Dakota und Candy … ich bin sicher, sie fand einen wohlhabenden Mann in Chicago.« Er seufzte schwach. »Candy sah blendend aus und hatte es lediglich darauf abgesehen, einen reichen Mann zu heiraten und eine Familie zu gründen. Kein abwegiger Gedanke, wenn man bedenkt, in welcher Armut ihre Verwandten im Dorf leben.«
    »Ihr Freund war Pilot«, klärte Havelka ihn auf, »ich habe sein Foto in ihrem Apartment gefunden. Ein teures Apartment. Und wo ist Florence Weinert?«
    »In New York«, erwiderte Father Paul, »die Adresse habeich leider nicht hier. Ich weiß nur, dass sie als Model arbeitet. Nichts Besonderes. Versandhauskataloge, Online-Inserate … so was.«
    »Wir finden Sie, Father.«
    »Sie müssen Florence beschützen«, bedrängte er sie. Sein Blick war auf das Foto gerichtet. »Sie müssen ihr sagen, was passiert ist. Sie soll ein paar Tage zu Hause bleiben und alle Türen und Fenster verrammeln und auf keinen Fall irgendjemand öffnen.«
    »Das tun New Yorker doch sowieso nicht«, sagte sie mit spöttischem Unterton. »Wir können sie zwar nicht vor einem Ungeheuer beschützen, aber wer weiß, vielleicht steckt der Schamane ja tatsächlich hinter den Vorfällen und hat Komplizen, die sich an die Frauen hängen. Eine etwas vage Vermutung, aber …« Sie ließ den Satz unvollendet. »Ich sage den Kollegen in New York Bescheid, Father Paul, die kümmern sich um sie. Wenn der Schamane was damit zu tun hat, kriegen wir es raus.«
    »Kann ich irgendwie helfen?«
    »Beten Sie für uns, Father Paul, das kann auf keinen Fall schaden. Gute Nacht. Und vielen Dank, dass Sie so spät noch mit mir gesprochen haben.«
    Father Paul hielt den Hörer noch lange, nachdem Havelka aufgelegt hatte, in der Hand und blickte nachdenklich auf den Monitor, bis das Foto mit den Mädchen und dem Sohn des Schamanen verschwand und vom Bildschirmschoner abgelöst wurde. »Flo«, sagte er leise. »Gott beschütze dich!«
    Im selben Augenblick zersplitterte das Fenster und ein faustgroßer Stein flog in das Zimmer. Er riss eine Vase mit Strohblumen von der Kommode und brachte eisigen Wind von draußen mit.

10
    Mit einer reflexartigen Bewegung hielt sich Sarah an der Haltestange fest, zuerst nur mit einer Hand und eine Sekunde später, als der tobende Wind sie gegen die Gondel drückte, mit beiden Händen. Ihre Knie schlugen gegen die Kabine und stechender Schmerz fuhr durch ihren Körper, doch sie hielt die Stange fest umklammert und wehrte sich verzweifelt gegen den drohenden Sturz in die Tiefe. Sie hatte den Wendigo aus ihrem Körper vertrieben, aber er war immer noch da und schlug mit unsichtbaren Pranken gegen die Gondel, wütend, tobend, zu allem entschlossen.
    Das Kreischen und Knacken des Metalls war so laut, dass man es sogar im Heulen des Windes hörte.
    Sarah schrie nicht, stöhnte und weinte nicht einmal. Die Panik verschloss ihr den Mund und verwirrte ihre Sinne. Jeder Windstoß zerrte und zog an ihr, als wäre sie ein lästiges Anhängsel, das man von der Gondel reißen müsste. In ihrer Todesangst ließ sie nicht locker, sie klammerte sich wie eine Schiffbrüchige an die Stange. Mit ihren wollenen Handschuhen fand sie kaum Halt.
    Ihr Blick fiel nach unten. Das Riesenrad drehte sich viel zu langsam, als hätte es Freude daran, sie in ihrer Panik zappeln zu sehen. Die bunten Lichter zauberten grelle Farbflecken auf ihren Körper, inszenierten ihren panischen Überlebenskampf als farbenfrohes Spektakel. Der Boden kam näher, nur noch zehn Meter, aber wenn sie jetzt losließ, war sie genauso tot, als würde sie aus der obersten Gondel fallen.

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