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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
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Winter, und kaltes Morgenlicht fiel durch die schmalen Fenster ins Turmzimmer. Draußen lag der Wald ums Schloss froststarr und schweigend da; drinnen knarrten die uralten Dielen unter den Kufen der Wiege, hin und her, hin und her, und das Kind gurrte leise.
    Die Frau, die das Bettchen vom Lehnstuhl aus schaukelte, sang:
    „Stehn zwei Stern am hohen Himmel / leuchten heller als der Mond …“ Der Säugling schmiegte den dunklen Schopf in das Leinen, und die winzigen Hände, die sich im Schlaf zu Fäusten geballt hatten, entspannten sich wieder. Wie hübsch das Kind war, selbst jetzt schon, wie vollkommen. Die hässlichen Neugeborenenrunzeln, die zornige Röte, mit der es auf die Welt gekommen war, waren in den vergangenen Tagen längst verschwunden. Hatten sich in Nichts aufgelöst, wie auch die wilden, fremden Schmerzen, die ihren eigenen Körper zerrissen hatten. Wäre es allein nach ihr gegangen, sie wäre schon gestern oder vorgestern wieder aufgestanden aus dem Wochenbett.
    „Leuchten so hell“, sang sie und konnte dabei den Blick nicht lassen von dem kleinen Wunder in der Wiege, „leuchten so hell / leuchten heller als der Mond …“
    Sie wusste, sie sollte sich schwach fühlen, hinfällig, wie eine Schwerkranke. War sie eine unnatürliche Frau, weil sie den Schmerz so schnell vergessen hatte? Weil all ihre Glieder kribbelten vor Tatendrang, vor Wagemut, vor – Stolz? Am liebsten hätte sie den Säugling aus dem Bettchen gehoben, hätte ihn durch das ganze Schloss getragen und jedem einzelnen der Dienstboten gezeigt. Nein, nicht nur ihnen, auch den Bauern und Pächtern unten in den Dörfern! Alle sollten sie sehen, ihre vollkommene kleine Prinzessin. Alle sollten sie bewundern.
    Es hätte sich nicht geschickt. Sie kannte die Konventionen. Und sie war klug genug, sich daran zu halten, selbst als Schlossherrin. Und auch, wenn sie es kaum abwarten konnte, sich wieder selbst um die Führung des Haushalts zu kümmern, Besuche zu machen, all die kleinen und großen Angelegenheiten zu regeln – genoss sie sie nicht, diese stillen Momente im Turmzimmer, allein mit dem Kind? So ruhig, so friedlich alles um sie her …
    „ Silber, Gold und Edelsteine / schönster Schatz, und du bist mein …“ Mein, mein, mein, flüsterte es in ihr fort. Sie spürte, wie ein Lächeln sich auf ihrem Gesicht ausbreitete.
    Schritte klangen auf der Wendeltreppe, die nach oben führte, Schritte und Stimmen. Sie richtete sich auf, strich den bestickten Morgenrock glatt, der wie riesige, bauschige Blütenblätter um sie herum ausgebreitet lag. Das Gestell der Krinoline knirschte leise unter dem Stoff. Wie verwirrt hatte die Zofe dreingeschaut, als sie früh darauf bestanden hatte, sie schon wieder anzuziehen! Das Korsett nicht, nein; hier setzte der Körper noch Grenzen. Nur ein weiches Mieder, und einen Kaschmirschal darumgeschlungen, damit man nicht sah, was nicht gesehen werden sollte … Aber den Morgenrock konnte man nicht tragen ohne die Krinoline, man hätte sich rettungslos in den herunterhängenden Stoffbahnen verwickelt. Und was für ein lächerlicher Anblick wäre das gewesen.
    Es rumste auf der Treppe, sie drehte den Kopf zur Tür, die halb offen stand. Die Stimme ihres Mannes brummte etwas Unverständliches, in seiner gutmütigen Art; sie fühlte den tiefen Ton in sich vibrieren. Gleich würde er eintreten, sie dort sitzen sehen in ihrem schönsten roten Morgenrock, mit dem sorgfältig frisierten Haar, und seine Augen würden ihr sagen, wie sehr er sie liebte. Sie taten es immer. Sie würden es immer tun. Jetzt noch mehr als vorher.
    „Du bist mein“, sang sie, „ich bin dein …“ Ihre Stimme hallte, voll, dunkel und klar, in dem hohen runden Raum. Amüsiert merkte sie, wie das Rumoren auf der Treppe einen Moment verstummte und dann mit neuem Eifer einsetzte. Einen Augenblick später klopfte es, und gleichzeitig wurde die Tür ganz aufgeschoben.
    „ Du bist mein / ich bin dein …“
    „ Sag, was könnte schöner sein? “, vollendete er schief die letzten Zeilen und strahlte sie an, sie und das kleine Mädchen in der Wiege, das im Schlaf seufzte, als er sich über das Bettchen beugte. „Ich wusste“, sagte er und zwinkerte ihr zu, „dass Sie es keinen Tag länger im Bett aushalten würden. Deshalb dachte ich, es wäre …“ Wieder polterte es draußen, jemand fluchte unterdrückt. Er verdrehte die Augen. „Himmel. Nun, ich dachte jedenfalls, es wäre gerade der richtige Augenblick, um Ihnen endlich Ihren

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