Winterkind
Wunsch zu erfüllen. Sie erinnern sich?“
Einen kurzen Moment lang tat sie es nicht; es fühlte sich unangenehm verwirrend an. Dann wurde von draußen, an ihrem Mann vorbei, ein riesiges, flaches Etwas in das Turmzimmer geschoben, von zwei schwitzenden Hausknechten, und sie klatschte in die Hände vor Freude.
„Sie haben noch daran gedacht!“
„Natürlich“, brummte er und beruhigte das Kind in der Wiege. „Ich verstehe zwar nicht, warum, aber … Wenn es nun einmal Ihr Wunsch ist.“
„Ja“, sagte sie schnell und stützte sich schon an den Armlehnen ab, um aufzustehen und die Knechte zu dirigieren. Im letzten Moment beherrschte sie sich und beobachtete nur scharf, wie sie den mannshohen Gegenstand an eine der Wände schoben, ihrem Lehnstuhl gegenüber. Das Morgenlicht fiel darauf; und plötzlich schimmerte ihr eigenes Gesicht ihr entgehen, zart, weiß und von dunklen Locken umrahmt. Nicht nur ihr Gesicht; ihre ganze Gestalt, einschließlich Morgenrock, Lehnstuhl und Wiege.
„Er ist wunderbar“, sagte sie leise. „Genau so wunderbar, wie ich geglaubt habe, als ich ihn im Keller entdeckte.“
„Finden Sie?“ Er entließ die Knechte mit einer Handbewegung und trat zu ihr. „Man hat mir erzählt, dass er viele Handwerker das Leben gekostet hat. Und dabei ist er nicht einmal besonders klar. Ich hätte Ihnen lieber eins der neuen Silbermodelle bestellt …“
„Nein“, sagte sie, etwas zu scharf, darum schlug sie die Augen sehr sanft zu ihm auf, „nein, sie machen sie längst noch nicht groß genug. Er muss groß sein, verstehen Sie. Ich muss mich von Kopf bis Fuß darin sehen können. Es ist … Ach, es hilft nichts, ich kann hier nicht sitzen bleiben! Sie müssen mir aufhelfen, bitte.“
Er schüttelte den Kopf und bückte sich gleichzeitig, um ihr den Arm zu reichen.
Innerlich zuckte sie zusammen, als der erste Schritt sie mit spitzen Nadeln an namenlosen Körperstellen stach. Aber das Lächeln, das sie vor sich hertrug, zeigte es nicht. Gemeinsam mit ihrem Mann stellte sie sich vor den riesigen alten Spiegel in seinem Holzgestell.
„Wunderbar“, wiederholte sie abwesend. Ihre Blicke huschten schon forschend über jeden Zentimeter. War dort nicht eine erste, winzige Falte?
Ihr Mann drückte ihren Arm.
„Ich sehe schon, die Liebe ist gegenseitig.“
Sie sah ihn ernst im Spiegel an. „Spotten Sie nicht. Ich bin jetzt eine alte Frau. Ich habe ein Kind geboren. Ich muss – auf der Hut sein, verstehen Sie.“
„Nein, nicht ein Wort“, sagte er und lachte. „Aber was macht das schon? Wenn Sie glauben, dass Sie einigermaßen sicher stehen – wünschen Sie dann, dass ich die beiden Damen mit dem neuen Spielzeug ein Weilchen allein lasse?“
Sie nickte und drückte dankbar seinen Arm, bevor er sie losließ. Draußen, im Gang zur Treppe, hörte sie ihn mit der wartenden Zofe scherzen. Sie achtete nicht darauf. Es hatte keine Bedeutung.
Während das Kind hinter ihr in der Wiege wieder zu gurren anfing, beugte sie sich vor, bis ihr Gesicht fast die silbrig-rauchige Spiegelfläche berührte, und versuchte, die verdächtige kleine Falte wiederzufinden.
„Du bist mein / ich bin dein“, summte sie dabei.
Zwei
Am andern Morgen schneite es nicht mehr. Weißer Dunst trieb aus dem Wald zum Dorf, mischte sich mit dem Rauch, der von der Glashütte heruntersank. Hing wie ein Schleier vor den Fenstern des Herrenhauses, dämpfte das matte Licht noch mehr. Fröstelnd ließ Sophie in ihrer Kammer den Vorhang fallen und wandte sich ab.
Sie hatte schlecht geschlafen. Das Geschrei der Krähen, das Krachen der Kutschenräder hatten noch lange in ihr nachgehallt und sie nur schwer zur Ruhe kommen lassen. Sie fühlte sich müde und zerschlagen von der Fahrt.
Als sie nach oben kam, auf den Dachboden, um Johanna zu wecken, war das Mädchen erkältet und jammerte über Halsschmerzen. Sophie hörte es mit grimmiger Befriedigung. Mit einem feuchten Waschlappen wischte sie dem Kind notdürftig das Gesicht ab, stopfte das Federbett fest und stieg nach unten, um nach ihrer Herrschaft zu suchen.
Die schmale Bodentreppe knarrte, wie sie es immer tat, ein raukehliger Morgengruß des Hauses. Im ersten Stock trieb ein leises, unmelodisches Summen umher, unterbrochen von gelegentlichem Poltern: Lieschen schrubbte die Fußböden in den Schlafzimmern. Der Eimer mit gebrauchtem Waschwasser stand beim Treppenabsatz. Die Herrschaften mussten schon unten beim Frühstück sein. Sophie musterte sich flüchtig im blank
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