Winterkind
allein zurechtkam. Genau wie der Gärtner, der seit einem halben Jahr keinen Gehilfen mehr hatte, trotz der Arthritis in der linken Schulter. Und wie die Köchin unten im Keller, die wuchtige Frau Herrman, die schon lang nur noch über ein einziges Spülmädchen zum Schelten verfügte.
„Verkaufen?“ Blanka von Rapp wirkte verwirrt. Ihr Blick forschte im Gesicht ihres Mannes. „Ich könnte den Spiegel niemals verkaufen. Sie scherzen sicher. Nicht wahr?“
Erst, als er wieder lachte und ihr ungeschickt den Arm tätschelte, entspannte sie sich wieder. Sophie versuchte, die winzige Dissonanz, die im Raum geschwungen hatte, zu überspielen.
„Vielleicht möchten Sie, gnädige Frau, dass ich Ihnen nachher mit dem Auspacken helfe? Die Kiste sieht wirklich furchtbar unhandlich aus, und sicher ist sie voller Holzsplitter nach dem Sturz.“
Etwas unbehaglich dachte sie an das schwarze Ungetüm, das vorn in der Halle stand, wo die Arbeiter es hingewuchtet hatten. Niemand hatte es bisher gewagt, ihm zu Leibe zu rücken. Vielleicht spiegelten sich ihre Gedanken auf dem Gesicht ihrer Herrin wider: Blanka von Rapp schien noch blasser zu werden, und sie winkte ab mit einer unsicheren, zierlichen Geste.
„Schon gut, Fräulein Sophie, vielen Dank. Ich bin noch nicht recht sicher, wohin … Vielleicht sehe ich mir erst alles einmal an, ganz in Ruhe.“
„Raue Bretter sind nichts für Frauenhände“, Herr von Rapp schüttelte den Kopf. „Überlegen Sie nur, wo Sie das Biest hin haben wollen, wenn Sie sich denn nicht davon trennen mögen; ich überlege dann, wie es dorthin geschafft werden kann.“
Eine winzige, scharfe Falte, wie ein Riss in einem Blütenblatt, erschien gerade über der Nasenwurzel der Herrin und verschwand sofort wieder.
„Natürlich“, sagte sie leise und lächelte ihn an.
Sophie hüstelte.
„Ich werde dann wieder nach Fräulein Johanna sehen. Wünschen Sie vielleicht, dass ich Lieschen Bescheid gebe? Sie scheint etwas spät mit dem Abräumen zu sein.“
Jetzt nickten sie beide dankbar. Herrschaften, dachte Sophie amüsiert, als sie hinausging. Es gab Tage, da benahmen sie sich wie hilflose Kinder, die irgendjemand in die Kleider von Erwachsenen gesteckt hatte und die nun verzweifelt versuchten, ihren Pflichten gerecht zu werden. Wie viel leichter es doch war, eine Gouvernante zu sein, mit nichts als dem, was in ihren kleinen Koffer passte – und mit keiner anderen Sorge als der, wie ihr Schützling es aufnehmen würde, dass er den ganzen Tag das Bett würde hüten müssen.
Am Frühstückstisch fasste Johann nach Blankas Hand, rasch, bevor das Mädchen kam.
„Meine Liebe“, murmelte er und drückte ihre Finger, „mein liebes Kind, was grübeln Sie? Sind Sie immer noch erschöpft von dem Unglück gestern? Möchten Sie noch ein wenig ruhen?“
„Nein, nein“, sagte sie schnell, obwohl der kurze Gedanke an weiche Daunen und Stille zwischen duftenden Laken etwas Verlockendes hatte. Sie würde sich niemals so weit gehen lassen, mitten am Tag im Bett zu liegen. Ein kleines kränkliches Mädchen wie Johanna mochte das tun. Sie hatte einen Haushalt zu führen. Das Mittagessen zu besprechen, Briefe zu beantworten, Bestellungen vorzubereiten …
„Nein“, sagte sie noch einmal, „haben Sie vielen Dank für Ihre Rücksicht.“
Seine Augen ließen sie nicht los.
„Ich könnte Sie hinaufbegleiten, sichergehen, dass Sie alles haben, was Sie brauchen … Gestern Abend waren wir alle sehr müde.“
Sein Tonfall, das kleine Funkeln, das jetzt in seinen Augenwinkeln spielte, trieben ihr das Blut bis in den Haaransatz. Verstohlene Bewegungen im Stockdunkeln unter den Federbetten, wenn die rosa Marmorlampe gelöscht war … Sie wusste nicht, wo sie hinsehen sollte, biss sich auf die Unterlippe.
„Es ist helllichter Tag“, flüsterte sie einer Falte im Tischtuch zu, „und das Kind liegt krank …“
Er seufzte schwach.
„Verzeihen Sie. Ich bin ungeschickt. Männer sind leider so.“
Seine Rücksicht beschämte sie sofort, umso mehr, als ihr siedend heiß bewusst wurde, dass es nicht nur männliches Verlangen war, was ihn zu der Frage bewegt hatte. Im vergangenen Sommer war sie vierundzwanzig geworden. Und Johanna war immer noch ihr einziges Kind.
Sie senkte den Kopf noch tiefer.
„Ich habe es trotzdem ernst gemeint“, sagte er freundlich, „das Vorige, wissen Sie. Wenn Sie sich nicht wohl fühlen … Sie haben sicher die ganze Zeit gegrübelt, die wir fort waren. Und der Schrecken
Weitere Kostenlose Bücher