Winterkind
wartete, bis sie sich wieder in der Gewalt hatte. Lieschen konnte nichts dafür. Es hatte keinen Sinn, das Mädchen zu verschrecken.
„Ich denke“, sagte sie schließlich, „Frau Herrman hat Sandwiches hergerichtet, bevor sie gegangen ist. Für das Abendessen, mit Zunge und kaltem Braten und dergleichen. Sie macht immer viel zu viel, die gnädige Frau isst nur wie ein Spatz. Pack einen großen Korb damit voll, und koch auch eine neue Kanne heißen Tee. Bring beides zu den Männern nach oben, wenn du es dir zutraust – tust du das?“
Lieschen nickte tapfer. Sophie zögerte kurz.
„Nimm meinen Mantel“, sie stand auf und holte ihn aus dem Schrank, „deiner ist zu dünn. Es schneit so sehr. Bring ihnen die Sachen, schick Grüße mit vom Herrenhaus und – und versuch, ob du nicht etwas herausfinden kannst. Vielleicht ist Willem dabei, er wird bestimmt mit dir reden. Kannst du das, Lieschen?“
„Jawoll, Frollein“, sagte Lieschen. „Das kann ich wohl tun. Und wenn ich das man sagen darf … Ich glaube, es ist sehr klug von Ihnen, das mit dem Essen. Und mit dem Tee. Es muss ungemütlich sein da oben.“
„Ja“, sagte Sophie, starrte auf die Flocken vor dem Fenster und zog die Schultern zusammen. „Das glaube ich auch.“
Sie legte Lieschen den Mantel über den Arm. Er war nichts Besonderes, gar nichts im Vergleich zu den pelzbedeckten Visiten und samtenen türkischen Dolmans , die in Blanka von Rapps Kleiderschrank hingen – und die die Hausherrin doch niemals benötigte. Aber das Hausmädchen fuhr mit den Fingern durch den spärlichen Fuchspelz am Kragen, als wäre es feinster Nerz.
„Danke, Frollein Sophie.“
Sophie gelang ein kurzes, freudloses Lachen. „Da nicht für, Lieschen, da nicht für. Sieh zu, was du herausbringen kannst. Und, Lieschen – mach aus zwei Sandwiches eines, hörst du? Kein Mann wird von den dünnen Schnitten satt, die an Damentafeln serviert werden.“
Lieschen lächelte sie an, und für den Augenblick verschwanden die Schatten aus ihrem Gesicht.
„Ich weiß schon, Frollein. Ich werd alles richtig machen. Sie können sich auf mich verlassen.“
Dann ging sie und ließ Sophie allein zurück, mit einem kalt gewordenen Tee und mit düsteren Gedanken, durch die Fackelschein geisterte.
Es dauerte nicht lange, bis das Mädchen zurück war. Sophie hörte unten die Haustür gehen, und auch wenn es nicht den guten Sitten entsprach, lief sie ihm entgegen.
„Oh, Frollein“, schnatterte Lieschen, während sie den Mantel ablegte und noch einmal, wie zum Abschied, über den Fuchspelz strich, „es ist wirklich hundekalt da draußen!“
Schneekristalle glitzerten auf ihrem Häubchen. Sophie zog es ihr behutsam vom Kopf.
„Komm, ich bringe dich nach unten in die Leutestube, da kannst du dich aufwärmen.“
Sie stiegen die knarrende Kellertreppe hinunter, in den Bauch des Hauses, wo es still war, seit Frau Herrman gegangen war. In der Leutestube hinter der Küche hockte das Spülmädchen am Tisch und schlief, den Kopf auf die Arme gelegt. Der Kachelofen in der Ecke bollerte.
„Wir müssen sie nicht aufwecken“, flüsterte Sophie. „Frau Herrman scheucht sie sicher genug herum. Rück dicht an den Ofen, Lieschen, dann wird dir schnell wieder warm.“
Sie setzten sich nebeneinander an den Tisch.
„Oh Frollein, das tut gut“, seufzte Lieschen leise, aber aus tiefstem Herzen. Sie rieb die Hände dicht vor den glühheißen Kacheln.
„Ja, ja“, sagte Sophie ungeduldig, „ich weiß schon, Lieschen, es war unangenehm, und ich bin dir sehr dankbar, dass du trotzdem gegangen bist, aber – sag, hast du etwas herausgefunden? Warum sind sie alle da oben?“
Das Spülmädchen murmelte im Schlaf. Lieschen beugte sich zu Sophie herüber und wisperte:
„Mein Willem war nicht dabei, er arbeitet brav drinnen. Die anderen sagen, es stimmt was mit einem Schmelzofen nicht … Mit dem neuen, wissen Sie. Ich habe das nicht richtig verstanden.“
„Diese neue Schmelzwanne?“ Sophie runzelte die Stirn. Das wusste sie schon, von Willem, von gestern. „Konntest du nicht mehr herausfinden?“
„Doch“, Lieschens Augen funkelten auf. „Ich hatte doch meinen Auftrag von Ihnen, Frollein. Und den hab ich nicht vergessen. Die Männer haben sich sehr gefreut über die Brote und den Tee – die meisten von ihnen. Ein paar waren auch dabei, die haben mich nicht einmal angeguckt, mir den Rücken zugedreht, als hätte ich wer weiß was im Gesicht.“
Sie schnaufte in rechtschaffener
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