Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
Vom Netzwerk:
zu sehen – das tüchtige, resolute, tatkräftige Fräulein Sophie. Wenn sie sagte, dass die Wahrheit ihnen hier nicht helfen konnte, dann war es so.
    Aber es gab noch einen Ausweg. Den Ausweg aller Ehefrauen mit wohlhabenden, liebenden Ehemännern.
    „Mein Schmuck“, sagte sie, obwohl es ihr im Innern wehtat. „Ich habe ein paar Dinge, Anhänger, Ketten, Geschenke meines Mannes. Manche sind wohl recht wertvoll. Wir könnten etwas auswählen und den Männern als Pfand geben, oder als Bürgschaft für den Dorfladen, damit sie dort erst einmal anschreiben lassen können. Ginge das nicht?“
    „Gnädige Frau, das wäre wunderbar!“
    Das Aufleuchten in Sophies Augen tat Blanka wohl, es legte sich wie Balsam auf den Schmerz, eines von Johanns Geschenken hergeben zu müssen – wenn auch nur für kurze Zeit. Sie schaffte es sogar, leichthin zu sagen: „Ach, wissen Sie, ich trage sie ja ohnehin nur selten. Ich werde gar nicht merken, dass eines fehlt. Und morgen oder übermorgen ist Herr von Rapp zurück, und es liegt wieder in der Schatulle, als wäre es nie weg gewesen.“

    Sie fanden den Schmuckkasten schnell wieder. Blanka zog ihn aus dem Tresor; er war merkwürdig leicht, und schon während sie ihn auf den Boden stellte, beschlich sie eine düstere Ahnung. Der Deckel war nicht verschlossen. Sie hob ihn an, und darunter kamen Stapel von kleinen samtbezogenen Schatullen zum Vorschein. Sie brauchte sie nur anzusehen, und schon erinnerte sie sich an jede einzelne Gelegenheit, bei der er sie ihr übergeben hatte: Die herzförmige da, sie enthielt den Topasanhänger, den er ihr zu Johannas Geburt geschenkt hatte. Noch im Wochenbett hatte er ihn ihr auf den Nachttisch gelegt, mit strahlendem, schiefem Lächeln. In der länglichen darunter schlummerte das Saphirarmband von ihrem letzten Hochzeitstag. Und in dieser dort …
    Sie riss sich zusammen, zwang sich, aufs Geratewohl eine der Schatullen in die Hand zu nehmen. Auch hier spürte sie kaum ein Gewicht. Die Ahnung wurde heftiger, fast fürchtete sie sich davor, die Schatulle zu öffnen.
    „Gnädige Frau …“ Sophies Stimme klang beruhigend, aber sie hatte einen drängenden Unterton.
    Blanka gab sich einen Ruck.
    Die Schatulle war leer.
    Da waren nur ein Abdruck im Samt von Kettengliedern und der goldfarbene Prägestempel des Juweliers.
    Sonst nichts.
    Blanka stockte der Atem.
    „Gnädige Frau …!“ Sophies entsetztes Flüstern drang wie aus großer Ferne zu ihr. Sie legte die Schatulle beiseite, nahm eine andere.
    Der Abdruck eines Ringes diesmal, und ein anderer Stempel.
    Sonst nichts. Wieder nichts.
    Gar nichts.
    Wie in Trance öffnete Blanka eine Schatulle nach der anderen, wusste schon, wenn sie sie federleicht in der Hand spürte, was sie finden würde, wenn sie den Deckel hob – nichts. Nichts. In keiner von ihnen.
    Ihr Schmuck war fort.
    Sie empfand nichts, keinen Zorn, kein Entsetzen. In ihr herrschte dieselbe Leere wie in den kleinen Samtschachteln.
    „Oh Gott“, flüsterte Sophie hinter ihr, „wenn nun Willem – er hat uns am Tresor gesehen …“
    Ein dunkles, spöttisches Lachen wehte unhörbar durch den Raum.
    Männer , wisperte es in Blankas Ohren, Männer! Häng nie dein Glück an sie. Sie sind so schwache Geschöpfe, und noch schwächer, weil sie es nicht wissen. Männer! Was wissen sie schon von Liebe. Was weißt du schon von der Liebe, du armes, dummes Kind … Du wirst es lernen, ja, du wirst es lernen. Du wirst erkennen, wie sie sind. Und ich bete für dich, dass es dann noch nicht zu spät sein wird.
    Mit einem Knall schloss Blanka den Deckel der letzten Schatulle.
    „Nein“, sagte sie laut, „es war nicht Willem. Er weiß nicht, wo der Schlüssel versteckt ist, und er hätte auch nicht unbemerkt ins Haus schleichen können. Mein Mann muss in großer Verzweiflung gewesen sein. Und ich habe es nicht bemerkt …“ Reue wallte scharf in ihr auf, füllte die Leere, verdrängte das Lachen, das böse Wispern. Sie biss sich auf die Unterlippe, bis sie Blut schmeckte. „Ich bin seine Ehefrau. Nach dem Gesetz ist alles, was mir gehört, in seiner Verfügungsgewalt. Aber ich bin sicher, er hätte mit mir gesprochen, wenn er mich nicht hätte schonen wollen. Ich kenne meinen Mann. Ich kenne ihn!“
    Sophie zuckte zusammen, beeilte sich zu nicken. Blanka warf die leeren Schachteln achtlos in den Kasten zurück, schob ihn in den Tresor, knallte die Tür zu, dass das Metall vibrierte. Einen Augenblick stand sie da, heftig atmend, ratlos,

Weitere Kostenlose Bücher