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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
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Empörung. Einer Ahnung folgend, fragte Sophie:
    „War auch dieser Marek dabei?“
    Lieschen nickte eifrig. „Ja, Frollein, der stand mit am Feuer. Weiß gar nicht recht wieso, wenn er doch eh nur noch Hilfsdienste verrichten darf, was hat er da dann zu suchen? Aber ja, er war da und hat mich finster angeschaut aus seinen schwarzen Zigeuneraugen. Huh, er ist unverschämt! Mich gruselt vor ihm, Frollein. Vor all diesen Roten, und dann noch aus dem Osten! Das habe ich neulich auch Willem gesagt.“
    „Ich weiß, was du meinst.“ Sophie wusste es wirklich. Sie brauchte nur an ihn zu denken, an diesen Blick voller Missgunst, dieses hämische Lachen – diese krächzende Stimme, diesen Atem voller Bierdunst! Und sie gruselte sich, wie Lieschen sich gruselte. Es war kein gutes Zeichen, dass Marek draußen bei den Männern stand. Sie fühlte es wie ein schwarzes Omen.
    „Ein Freund von Willem“, berichtete Lieschen weiter, „hat mir gesagt, es wäre am letzten Zahltag vor Weihnachten eigentlich üblich, dass es das Geld etwas früher gibt. Und etwas mehr als sonst. Alle wollen ja einen guten Braten für das Fest erwischen … Es wäre wohl eigentlich schon Zeit dafür. Sie warten jetzt, und ich schätze, sie hoffen, dass die gnädige Frau sie auszahlt, wenn der Herr nicht rechtzeitig zurück ist.“
    Sophie flatterte das Herz in der Brust. Auszahlen, ja. Aber mit welchem Geld?
    „Natürlich“, sagte sie und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „Wenn der gnädige Herr nicht rechtzeitig hier ist, wird – wird sie sich wohl darum kümmern.“
    „Das ist gut“, sagte Lieschen inbrünstig und so laut, dass das Spülmädchen sich wieder regte. „Oh Frollein, dann ist ja alles gut.“
    Sophie lächelte, obwohl ihr nach nichts weniger zumute war.
    Es war Zeit, mit Blanka von Rapp zu sprechen.

    Blanka stand am Fenster im Damenzimmer und presste die Stirn gegen die kalte Scheibe. Sie wollte sie nicht mehr sehen, die Milliarden Schneeflocken draußen, die der Wind im Park hin und her wiegte, als sei alles nur ein Spiel. Hatte sie noch Hoffnung gehabt, vor einer Stunde, vor zweien? Oder war auch das schon Fassade gewesen, für sich selbst, für Johanna, für das Personal? Was auch immer da gewesen sein mochte, es war zerbröckelt, zerfallen unter der Last der Flocken, die vorbeitanzten in einem endlosen, tödlichen Reigen. Sie konnte sich nicht mehr wünschen, dass Johann heute zurückkommen würde. Sie konnte nur beten, dass er nicht so töricht gewesen war, sich auf den Weg zu machen. Die Straßen mussten längst unpassierbar sein.
    Sie war froh, dass sie Lieschen am Morgen gebeten hatte, das Korsett enger zu schnüren. Stoff und Stahlstäbe gaben ihr Halt. Die kleinen Schürfwunden darunter spürte sie nicht mehr.
    Als Fräulein Sophie leise hinter ihr ins Zimmer trat, drehte sie sich um. Ihre eigene Müdigkeit spiegelte sich im Gesicht der Gouvernante. Sie machte es ihr leicht, winkte ab, als sie sich noch räusperte.
    „Ich weiß, Fräulein Sophie. Ich weiß, was Sie mir sagen wollen. Er wird nicht kommen. Es ist mir längst klar.“
    Sophie nickte stumm.
    „Für einen Arzt“, stellte Blanka fest, „ist es heute ohnehin schon zu spät. Es wird dunkel. Aber wir werden die Arbeiter auszahlen müssen. Es ist Freitag.“
    Sophie warf ihr einen verwunderten Blick zu. Blanka lächelte, spürte die Kraft des Korsetts im Rücken.
    „Ich bin vielleicht nicht sehr bewandert in den geschäftlichen Angelegenheiten meines Mannes, aber einen Kalender kann ich schon noch lesen, Fräulein Sophie.“
    Die Gouvernante senkte den Kopf.
    „Verzeihen Sie, ich wollte nicht … Sie haben natürlich recht. Und die Arbeiter – sie warten wohl schon, oben bei der Hütte. Vielleicht noch auf den gnädigen Herrn, eher aber einfach auf ihr Geld.“
    „Oh“, sagte Blanka, leicht irritiert; dann fasste sie sich wieder. „Nun, wir haben ja schon den Schlüssel zum Tresor. Ich werde sie eben anstelle meines Mannes bezahlen. Ich glaube, sie werden nicht warten wollen, bis das Wetter sich bessert und er zurückkommen kann.“
    „Nicht warten können , gnädige Frau“, sagte Sophie. „Die meisten leben doch von der Hand in den Mund. Und viele haben Familien … Da reicht das Geld genau bis zum nächsten Zahltag, wenn überhaupt. Aber das – das ist es nicht.“ Sie machte eine unbehagliche Geste mit den Schultern. „Es gibt ein anderes Problem, gnädige Frau. Es – ich glaube, es ist kein Geld da.“
    „Wie meinen Sie das?“,

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