Winterkind
Dinge, die ein junges Mädchen von Stand wissen musste: wie man vor Grafen knickste und wie vor Herzoginnen; wie man Konversation machte und wie man eine Tanzkarte führte; und wie man immer ein Lächeln auf den Lippen behielt, auch wenn es einem die Brust zerriss. Die Gäste, die kamen, sagten, dass es schön war, mit schneeweißer Haut und Haaren, so schwarz wie Ebenholz. Bald gab es viele Gäste, und immer waren auch junge Männer dabei. Sie streiften das Mädchen mit schüchternen Blicken, die es nicht deuten konnte und die es doch seltsam befangen machten. Die Mutter schickte sie alle wieder weg, einen nach dem anderen. Das Mädchen spürte vage, das mit ihnen etwas fortging, eine Gelegenheit vielleicht, eine Möglichkeit für etwas, das anders war als das Leben im Schloss. Aber es verbarg alle Fragen hinter sittsam niedergeschlagenen Lidern.
Nur manchmal, wenn die Mauern des Schlosses so drückend auf ihm zu lasten schienen, dass es glaubte, keine Luft zum Atmen mehr zu haben, schlich es sich heimlich davon, im Morgengrauen, wenn selbst die Mägde noch schliefen. Im bloßen Nachthemd unter dem Mantel lief es dann zum Wald hinunter, verbarg sich zwischen den Bäumen, atmete die klare, frische Luft in tiefen Zügen. Und wenn dann das Morgenlicht weich durch die Zweige fiel und die ersten Vögel erwachten, vergaß es das Schloss und die Mauern für eine kleine, selige Weile. Dann warf es den Mantel ab, hob die Arme über den Kopf, drehte sich und tanzte zu der Musik, die der Wald ihm spielte, ohne Schrittfolgen, ohne Takt, ganz allein, nur für sich selbst. Und manchmal, ganz selten, fühlte es sich dabei fast so, als ob es glücklich wäre.
An einem Frühlingsmorgen, als das Mädchen wieder so tanzte, verstummten die Vögel plötzlich und es raschelte in den Zweigen. Das Mädchen erschrak und wollte flüchten, aber eine Stimme sprach es von den Bäumen her an, und diese Stimme war so sanft und so freundlich, dass es innehielt.
„Bleib doch“, bat die Stimme, „ich will dich nicht verjagen. Ich könnte es mir nie verzeihen.“
Das Mädchen wickelte sich hastig in den Mantel und spähte ängstlich zwischen die Stämme.
„Dein Tanz ist so wunderschön“, sagte die Stimme, „ich glaube, er ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Dabei war ich erst gestern auf einem Schloss, von dem man sagt, dass das schönste Mädchen der Gegend dort wohnt. Aber ich habe sie lange nicht so schön gefunden wie dich.“
„Wer sind Sie“, rief das Mädchen voller Furcht, „und was reden Sie da? Es gibt nur ein Schloss in diesem Teil des Landes, und dort lebe ich, und ich bin nicht schön.“
Da trat ein junger Mann auf die Lichtung, und als sie sich gegenüberstanden, rief er erstaunt: „Du bist es ja, du bist – Sie sind das Mädchen vom Schloss!“
Er riss den Hut vom Kopf, verbeugte sich tief.
„Verzeihen Sie“, sagte er dabei, plötzlich ganz steif. „Das war sehr ungehörig von mir. Meine einzige Entschuldigung ist, dass ich es wirklich nicht besser wusste.“
Noch nie hatte sich ein junger Mann bei dem Mädchen entschuldigt. Es wusste nicht, wie es darauf antworten sollte. Aber er klang so unglücklich, und er hatte recht; jetzt, als das Mädchen ihn vor sich sah, erinnerte es sich, dass er zu den Gästen beim Abendessen gehört hatte. Verwirrt murmelte es nur:
„Wie konnten wir uns denn nicht gleich erkennen?“
„Ach, das ist leicht“, sagte er eifrig, den Hut immer noch in der Hand. „Sie hielten die ganze Zeit den Kopf gesenkt, und ich sprach Sie nicht an, weil ich es nicht wagte. Ich wusste, Ihre Frau Mutter wünschte es nicht. Ich bin auf Reisen in dieser Gegend. Mein Vater ist Kaufmann, und er war ein Freund Ihres Vaters, als er noch lebte. Er schrieb Ihrer Frau Mutter und bat sie, mich freundlich aufzunehmen, und sie tat es, weil sie es ihm nicht abschlagen konnte. Aber da ich nur eines Kaufmanns Sohn bin, verachtete sie mich, ich spürte es wohl. So blieb ich stumm wie ein Fisch.“
Das Mädchen schämte sich furchtbar, weil ein Gast es im Nachthemd tanzen gesehen hatte. Aber es hörte doch, wie freundlich er sprach, und seine Augen leuchteten so warm; und ihre Väter waren befreundet gewesen … Es spürte einen Stich, als es an den Vater dachte, und dieser Stich war es vielleicht, warum es nicht weglief, sondern leise fragte: „Und jetzt – jetzt müssen Sie gleich wieder fahren und Ihre Reise fortsetzen?“
„Ja“, sagte der junge Mann, „in einer Stunde muss ich aufbrechen.
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