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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
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orderte sie wohl, er hatte immer schon alles geordert, was aus der Apotheke kam – wie Kopfschmerzpulver oder Riechsalz oder Borax. Aber Blanka wusste immer, wie viel in der Flasche noch vorrätig war, damit sie ihn an die Bestellung erinnern konnte, falls er es einmal vergaß.
    Hatte er es diesmal vergessen? Oder saß das Tonikum mit ihm zusammen in der Stadt fest?
    Sie drehte die leere Flasche zwischen den Fingern. Das war nicht gut. Nein, das war nicht gut.

    Um die Mittagszeit begriff Sophie, dass Blanka von Rapp den ganzen Tag nicht herunterkommen würde. Es gab hier unten ja auch nichts zu tun. Der Schnee hielt das Haus wie im Winterschlaf gefangen. Aber die Herrin musste essen, und das kranke kleine Mädchen auch.
    Sie legte den Stickrahmen beiseite, drückte das Kreuz durch gegen die Lethargie, die sie wieder in den Sessel sinken lassen wollte. Griff nach dem Klingelzug an der Wand. Als Lieschen kam, mit wieder trockenem Haar, befahl sie ihr, Frau Herrman in der Küche heute ein Tablett mit dem Mittagessen beladen zu lassen, statt dass es wie sonst im Esszimmer serviert wurde. Sie mussten froh und dankbar sein, dass die Köchin auch heute den kalten Weg vom Dorf hoch zum Haus auf sich genommen hatte … Und essen mussten sie alle, ganz gleich, was die Arbeiter nun taten oder nicht taten. Praktisch denken! Das half, wenn auch nur ein wenig.
    Als Lieschen zurückkam, nahm sie ihr das Tablett ab und trug es selbst die Bodentreppe hinauf. Aus den Suppentellern stieg köstlicher Dampf auf und erinnerte sie daran, dass sie beim Frühstück auch nur an einem Toast geknabbert hatte. Das Gefühl des Hungers belebte sie auf eigenartige Weise.
    Weil sie keine Hand frei hatte, rief sie vor der Kinderzimmertür:
    „Ich bin es, gnädige Frau. Ich bringe das Essen für Sie und Fräulein Johanna.“
    Einen Moment lang blieb alles still. Nur der Wind seufzte draußen an der Hauswand entlang.
    „Bitte“, sagte Frau von Rapp schließlich drinnen, und Sophie klinkte mit dem Ellenbogen die Tür auf.
    Die Hausherrin saß auf dem Kinderstuhl, als hätte sie sich die ganze Nacht nicht bewegt. Jedes Haar ihrer Frisur saß an seinem Platz, ihr Rücken war kerzengerade, der Rock faltenlos. Ihr Gesicht war noch bleicher als sonst, aber das ließ die feinen Züge nur noch deutlicher hervortreten. So ebenmäßig … So ebenmäßig und so ausdruckslos, wie das Gesicht der kleinen Alabasterbüste, unten im Arbeitszimmer. Nur die hellen Augen unter den schwarzen Brauen strahlten mit einer kühlen Intensität, die Sophie noch nie in ihnen gesehen hatte.
    Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab, und Frau von Rapp bedankte sich mit einem Nicken.
    „Johanna geht es besser“, sagte sie.
    Sophie sah zum Bett. Das kleine Mädchen lag still auf dem Rücken. Der schmale Brustkorb hob und senkte sich unter der Bettdecke, regelmäßig, aber sehr langsam. Etwas an dieser Langsamkeit, an dieser Stille gefiel Sophie nicht. Hatte das Fieber den schmalen Körper schon so sehr zerrüttet, dass Johanna in eine Art stumpfe Apathie gefallen war?
    Sie ließ das Essen stehen und ging zum Bett hinüber, vorbei an Blanka von Rapp, die ihre Bewegung wohlwollend zu genehmigen schien und die beinahe betäubend nach Lavendel duftete. War das Gesichtchen in den Kissen tatsächlich blasser geworden? Die Wangen schimmerten immer noch tiefrot. Aber um Mund und Kinn herum waren hellere Stellen. Es sah ein wenig fleckig aus.
    Sophie legte ihr die Hand auf die Stirn. Sie schien wirklich kühler zu sein als gestern. Aber dieser hellere Bereich … Er erinnerte sie an etwas, etwas, das sie schon einmal gesehen hatte. Vor langer Zeit, in der Warteschule. Etwas, das nichts Gutes bedeutete.
    Konnte es – konnte es ein Milchbart sein?
    Sophie kniff die Augen zusammen. Sie bückte sich, versuchte festzustellen, ob die Röte auf Johannas Wangen nur ein farbiger Hauch war, oder ob sich darunter Pusteln verbargen. Es war nicht sicher zu erkennen. Als sie darüberstrich, schien die Haut sich glatt anzufühlen.
    Sie warf Frau von Rapp einen entschuldigenden Blick zu, zog dann Johannas Nachthemd am Ausschnitt nach unten, soweit es ging. Nein, keine Pusteln hier, nur blasse weiche Kinderhaut über den zarten Knochen.
    Aber der Verdacht, der Sophie ergriffen hatte, wollte sie nicht wieder loslassen.
    Sie ließ das Nachthemd zurückrutschen, öffnete dem schlafenden Mädchen behutsam den Mund. Die Zunge war immer noch sehr rot. Zu rot? Wie sollte man das abschätzen?
    „Gnädige

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